Die elektronische Gesundheitsakte (ELGA) in Österreich – Hürden, Potenziale und ein Vergleich mit Deutschland

Im Gespräch mit Dr. Franz Leisch, Geschäftsführer ELGA GmbH in Österreich

Herr Dr. Leisch, Sie sind Geschäftsführer der ELGA GmbH in Österreich. Wie sieht es mit der Digitalisierung im österreichischen Gesundheitswesen im Vergleich zu Deutschland aus? In welchen Bereichen ist Österreich weiter und wie haben Sie das erreicht?

Es ist schwierig, Österreich und Deutschland direkt vergleichen zu können, denn die konkreten Projekte hängen auch immer ein bisschen von der Finanzierung des Gesundheitssystems ab. ELGA ist eigentlich maßgeschneidert auf das österreichische Finanzierungssystem. Wir haben in Österreich die Situation, dass die niedergelassenen

Ärzte und die Spitäler aus unterschiedlichen Finanzierungsquellen kommen und daher war es sehr wichtig, über alle Partner, Länder und Sozialversicherungen ein gemeinsames Digitalisierungsprojekt aufzuziehen. Nur so ist sichergestellt, dass die Kompatibilität zwischen Niedergelassenen und Spitalsbereich auch gegeben bleibt. Und da gab es wirklich auch im Jahr 2009 die entsprechenden politischen Beschlüsse, dass wir da zusammenarbeiten. Das funktioniert bis jetzt und alle Player haben gemeinsam die ELGA GmbH gegründet, die ich jetzt leiten darf.

Würden Sie daher sagen, dass es Österreich dadurch auch ein Stück einfacher hat als Deutschland was die ELGA angeht?

Jedes Gesundheitssystem ist kompliziert und man muss sich sehr gut anschauen, was man braucht. Und ehrlich gesagt, Sie müssen immer, wenn Sie Digitalisierung sagen, sehen: Wer hat welchen Nutzen? Wer hat welchen Vorteil? Und wer hat welche Motivation?
Und da müssen Sie eine maßgeschneiderte, auf das Land passende Lösung finden und es gibt sicher Dinge, wo wir auch mit Deutschland zusammenarbeiten in der Standardisierung.
Also wir sind uns alle einig, dass wir die Daten standardisieren müssen.

Ich nenne Ihnen einen konkreten Vergleich: In Österreich haben wir es geschafft, das Datenformat gesetzlich zu verordnen. Wir haben mit ELGA alle Entlassungsbriefe harmonisiert und gesagt: So müssen sie ausschauen. In Deutschland habe ich die Signale bekommen, das würde sich in Deutschland niemand gefallen lassen, dass der Gesetzgeber quasi die Befunde harmonisiert und quasi gesetzlich verordnet. Hier gibt es definitiv auch kulturelle Unterschiede. In Österreich ist sowas möglich und in Deutschland angeblich nicht.

Was waren da die größten Hürden bei der Einführung von ELGA und wie haben Sie diese gemeistert?

Ich darf erst seit Anfang dieses Jahres die ELGA GmbH leiten. Das heißt, die Einführung der ELGA haben meine Vorgänger gemacht. Eine große Hürde war es, die ganzen technischen Voraussetzung herzustellen. Sie müssen sich vorstellen, Sie müssen für eine nationale Gesundheitsakte alle Bürger in ganz Österreich identifizieren und alle Gesundheitsdienstleister und das alles live. Das heißt, wenn sich die Adresse eines Bürgers ändert oder wenn sich der Versicherungsstatus ändert, das müssen wir alles in Real-Time haben. Das war die große Anforderung an die Infrastruktur und die Prozesse. Und da hat sich herausgestellt, dass die Register nicht so schnell und gut gepflegt werden, wie wir sie gebraucht haben. Da war viel Vorarbeit notwendig. Wir mussten natürlich die ganzen Standards festlegen, technisch, und da mussten auch noch alle Sicherheitsvorgaben, die wir sehr hoch gesteckt hatten, erfüllt werden. Das war die technische Herausforderung. Und natürlich die kulturelle Voraussetzung und da war ich damals schon beteiligt in meiner vorherigen Aufgabe bei der Erstellung des ELGA-Gesetzes. Also ELGA ist ja bei uns gesetzlich geregelt. Und der große Unterschied, warum wir vielleicht als sehr erfolgreich wahrgenommen werden in Deutschland, ist, weil wir eine sogenannte Widerspruchslösung haben. Das heißt, die Patienten in Österreich haben alle ihre ELGA und müssen sich abmelden. Wohingegen in vielen anderen Ländern so eine Lösung kulturell auch nicht möglich ist, da muss man sich als Patient opt-in anmelden. Schon alleine daher haben wir 97 % aller Bürger dabei. Und mit dieser gesetzlichen Regelung, dass alle dabei sind und dem Thema, dass wir fast alle Spitäler angeschlossen haben, haben wir de facto schon mehr als 80 % aller Entlassungsbrief in ELGA, in ganz Österreich. Woran wir natürlich immer noch arbeiten, ist die Akzeptanz unter den Ärzten und den anderen Gesundheitsdienste-Anbietern, denn jede Digitalisierung erzeugt Widerstand und Prozessänderungen und da ist sehr viel Feingefühl und Zusammenarbeit gefragt. Ich glaube, als Patentrezept kann man sagen: auf den anderen auf Augenhöhe zugehen, deren Probleme verstehen und gemeinsam versuchen, sie zu lösen.

Sie sind gerade schon auf die Gegner und Skeptiker der ELGA eingegangen. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Vorteile der ELGA für Patienten und für niedergelassene Ärzte?

Ich fange mal mit einer persönlichen Story an: Ich bin selbst Arzt, zumindest war ich es ein Jahr, das ist 20 Jahre her. Ich habe mir damals gedacht, ich muss bei jedem Patienten die Medikamente erfragen, ich muss bei jedem Patienten sicherstellen. Mir sind Patienten in der Notfallambulanz von der Liege gefallen, weil ich nicht wusste, dass er Epileptiker ist.

Da hätte ich andere Maßnahmen getroffen, dass das nicht passiert. Und ehrlich gesagt, mir war vollkommen bewusst: hier möchte ich selbst mitarbeiten und hab dann auf das hinauf Informatik studiert und wollte sowas wie ELGA schon vor 20 Jahren machen.

So kommen wir auch zu den Vorteilen. Wenn wir das technisch gut zur Verfügung stellen, das ist auch die Meinung der ELGA, wenn es technisch gut funktioniert, die Antwortzeiten da sind und die Übersichtlichkeit gegeben ist. Dann hilft natürlich ein System wie ELGA, mir in kurzer Zeit ein umfassendes medizinisches Bild vom Patienten zu machen. Das spart auf alle Fälle Zeit und ist gut für die Behandlungsqualität.

Wir haben gerade eine Umfrage unter allen ELGA verwendenden Ärzten gemacht und hier sehen wir genau diese Effekte, die ich gerade beschrieben habe, in der Realität. Aber die sogenannte Anwenderfreundlichkeit der Softwareprogramme, da müssen wir noch dran arbeiten. Das müssen wir flächendeckend sicherstellen. Vielleicht noch so als Nebensatz: ELGA ist ja kein Computersystem was ich bedienen kann, sondern ELGA ist nur eine Schnittstelle und das Computersystem des Arztes oder des Krankenhauses muss es selber hinein programmieren und hier gibt es natürlich entsprechende Qualitätsunterschiede. Aber ich habe schon sehr gute Lösungen gesehen und deswegen weiß ich, dass es funktioniert.

In erster Linie sind Sie ja auf die Verbesserung der Behandlungsqualität für den Patienten eingegangen. Sehen Sie vielleicht auch noch andere Vorteile der ELGA generell für das Gesundheitswesen, ein bisschen größer gedacht?

Naja, generell glaube ich, dass wir einfach Effizienzen heben. Wir vermeiden Doppeluntersuchungen in dem Sinn, dass, wenn zum Beispiel im niedergelassenen Bereich

eine Untersuchung gemacht wird, dann wird die sehr oft im Spitalsbereich wieder gemacht, weil die Ergebnisse einfach nicht zur Verfügung stehen. Gerade bei radiologischen Untersuchungen, schon allein die geringere Strahlenbelastung von weniger Untersuchungen. Gerade bei der Medikation, Doppelmedikationen – Manchmal gibt es Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff, die aber unterschiedliche Handelsnahmen haben. Das ist dem Patienten vielleicht früher nicht bewusst gewesen, das hat er vielleicht gar nicht gesagt. Da wissen wir nachweislich, dass wir statistisch etliche Todesfälle verhindern können.

Dann habe ich noch abschließend eine Frage die Digitalisierung im österreichischen Gesundheitswesen betreffend, was sind Ihre persönlichen Ziele und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Also mit meiner jetzt gerade übernommenen Aufgabe in der ELGA GmbH möchte ich, dass sich die Akzeptanz und die Funktionalität von ELGA in den nächsten Jahren so niederschlägt, dass wir den Nutzen endlich stiften können, den wir uns vorgenommen haben und dass wir auch die Anwenderakzeptanz haben, weil jeder, der EDV-Systeme entwickelt, freut sich, wenn die Anwender sagen: Das ist ein gutes System. Wir haben auch den Auftrag bekommen, im ELGA-System auch den nationalweiten Impfpass umzusetzen. Das ist ein tolles Projekt. Ich habe 4 Kinder und ich suche immer die Impfpässe. Da freue ich mich ganz persönlich drauf. Und in weiterer Folge mit der Digitalisierung würde ich gerne das Gesundheitssystem stabilisieren. Wir sehen quasi, dass die Ärzte sich eher in Ballungsräumen zentrieren. Die Landbevölkerung hat weniger Versorgung und wir glauben, dass man mit der digitalen Kommunikation auch viele Behandlungen digitalisieren kann. Ich bin davon überzeugt, dass wir zum Wohle der Patienten und der Mitarbeiter die Kommunikation zwischen Arzt und Patient massiv verbessern können. Bis jetzt beschäftigen wir uns mit ELGA hauptsächlich mit der Kommunikation von Arzt zu Arzt. Mein persönliches Ziel ist auch die Kommunikation mit dem Patienten direkt über Digitalisierungsmaßnahmen zu erreichen.

Vielen Dank für dieses Gespräch.