Interoperabilitätsprobleme im Gesundheitswesen löst man mit Zusammenarbeit

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POLAVIS im Gespräch mit Prof. Dr. Sylvia Thun, Direktorin für eHealth und Interoperabilität am Berlin Institute of Health (BIH)

Verbesserung durch Digitalisierung

Die Digitalisierung an sich wird keine Veränderungen mit sich bringen, aber wenn die Digitalisierung als Werkzeug genutzt wird, führt dies zum Erfolg. Hier können wir Verbesserungen hinsichtlich der Zeitersparnis bei Dokumentation, Diagnostik und Therapie erwarten. Man kann Behandlungsdaten präziser festlegen, ausdrücken und austauschen und das führt im Endeffekt zu einer Steigerung in der Behandlungsqualität.

Interoperabilität und Schnittstellen-Standards im Gesundheitswesen

Was Interoperabilitätsprobleme angeht, sollte man aufhören sich gegenseitig zu bashen. Es ist besser, wenn man zusammenarbeitet, in die Zukunft schaut und eine Kultur des Vertrauens schafft. Die Daten und ihre Strukturen müssen leichter zugänglich gemacht werden, denn es gibt zwar einen großen Datenschatz, auf welchen die Forscher aber gar nicht zugreifen können. Man könnte die Gesundheitsversorgung sehr viel besser machen, wenn Forscher in Zukunft auf diese Daten zugreifen können, vor allem wenn es um seltene Krankheiten geht.
Was die Standards angeht, sollte man das nutzen, was weltweit spezifiziert wurde und genutzt wird. Das Joint Initiative Council mit HL7, IHE, DICOM, GS1, CEN, CDISC, SNOMED und ISO, arbeitet hieran, aber auch die WHO ist hier involviert. Die Standards sind sehr komplex, daher ist eine Zusammenarbeit unumgänglich. Es ist wünschenswert, dass wir alle an einen Tisch kommen und das Transparenz in die Vorhaben und Prozesse Einzug hält.

Welche Verbesserungen wird die Digitalisierung hinsichtlich der Dokumentation und Kommunikation im Gesundheitswesen mit sich bringen?

Die Digitalisierung kann selbst nichts mit sich bringen. Aber wenn alle Menschen mitmachen und die Digitalisierung als Werkzeug nutzen, dann führt das zum Erfolg. Wir können dann besser Inhalte miteinander austauschen. Ärzte untereinander oder mit den Patienten, Therapeuten und der Pflege und das ist sicherlich auch sehr wichtig und erspart Zeit. Das Erspart letztendlich auch viel Dokumentation

Und in wie weit wird das auch die Behandlung der Patienten verbessern?

Die Digitalisierung verbessert nicht die Behandlung, sondern die Menschen, die die Digitalisierung adäquat nutzen und Firmen, die auch umsetzen, was weltweit etabliert wird, nämlich so, dass man gemeinsam zusammenarbeitet mit dem Werkzeug Digitalisierung. Die Behandlung wird in dem Sinne verbessert, dass es sehr viel schneller zu einer Diagnose und Therapie kommt. Man denke da an die Radiologie, die es ja bereits sehr lange gibt, aber auch an den Austausch von Gesundheitsakten, um eine Übersicht der verschriebenen Medikamente dem Arzt verfügbar zu machen. Dementsprechend ist die Behandlung auch sehr viel besser. Aber auch hier geht es, um die Patientensicherheit und mit Digitalisierung die Dinge präziser auszudrücken. Wenn ich einen Laborwert beispielsweise sehr viel präziser ausdrücke, ist dieser sehr viel sicherer, als wenn dieser wie heutzutage über ein Fax als PDF übermittelt und keine weiteren Informationen wie zu einem Kreatininwert geben kann. Man muss wissen, es gibt davon sehr viele und nicht nur den einen.

Man will ja alles Mögliche Verändern, aber wenn die Regierung es nicht hinbekommt sektorenübergreifende Standards und Lösungen zu implementieren, wie werden dann die ganzen Einzellösungen, die immer mehr auf den Markt kommen miteinander kommunizieren? Wie schafft man dies und welche Standards und Lösungen werden sich Ihrer Meinung nach durchsetzen?

Es ist ja die Frage, ob die Regierung das nicht hinbekommt, oder ob die derzeitigen Stakeholder, die Industrie oder die Ärzte es nicht hinbekommen. Ich will die Schuld auch keinem zuweisen, sondern wir müssen da nun zusammenhalten, in die Zukunft schauen und eine neue Kultur des Vertrauens schaffen. Wir müssen vertrauen und uns auch in den Daten vertrauen. Die Daten müssen auch endlich öffentlich gemacht werden, ebenfalls die Datenstrukturen.

Was meinen Sie mit „Daten öffentlich machen“?

Die Daten öffentlich machen, da wir in Deutschland einen großen Datenschatz haben. Beim ZI der KBV zum Beispiel, bei den Krankenkassen und wir Forscher können überhaupt nicht auf die Daten zugreifen. Man kann die Gesundheitsversorgung sehr viel besser machen, wenn wir Forscher auch an den Daten, die vorhanden sind, forschen können. Als Beispiel sind da seltene Erkrankungen zu nennen. Wir müssen wissen wo diese zu finden sind und vielleicht nur 3 bis 5 Mal auftauchen und wer dazu ein Experte ist. Das ist bei der Versorgung wichtig.

Bei den Standards sollte genommen werden, was weltweit verwendet und spezifiziert worden ist und hier arbeitet eben die Gruppe zusammen. Das Joint-Initiative Council, bei der auch die WHO involviert ist, arbeitet an einer Standardisierungs-Roadmap mit den Organisationen die zuständig sind. Das sind HL7, IHE, DICOM, GS1, CEN, CDISC und ISO und die arbeiten alle gemeinsam an diesen Standards, die sehr komplex sind. Das kann eine Organisation allein nicht schaffen, da müssen wir gemeinsam in eine Richtung laufen und auch für Deutschland die internationalen Standards anpassen.

Welche Hürden sehen Sie bei der Implementierung neuer Lösungen im Gesundheitswesen? Wo sehen Sie die Herausforderungen der nächsten Jahre?

Am Fachkräftemangel. Das heißt wir haben es in den letzten 20 Jahren adäquat Fachkräfte auszubilden im Bereich der Medizin-Informatik. Es gibt zum Beispiel in Berlin nicht einen Medizin-Informatik Studiengang. Das geht nun nicht so schnell, daher das sollten wir weiter im Auge behalten. Es kann ja auch nicht sein, dass wir hundert KI-Professuren einführen – worauf sollen diese denn forschen, wenn es keine Daten gibt? Es ist wichtig, dass man das im Auge behält.

Welche Veränderungen wünschen Sie sich für die Zukunft? Wofür setzen Sie sich besonders ein?

Die Veränderung der Community und des Denkens. Damit wir endlich merken, dass wir in keinem System sind, in dem jeder gegen jeden kämpft und jeder seine kleinen Daten für sich behält, sondern damit wir gemeinsam diese großen Aufgaben in der Gesundheitsversorgung in der Forschung angehen. Damit wir uns vertrauen und diese Community aus- und aufbauen, die gibt es ja bereits in Deutschland, zumindest bei uns, HL7. Wir haben die Softwarehersteller alle an einen Tisch gebracht. Auch die Ministerien und die GEMATIK und die KBV. Wenn man das ausbauen könnte und auch die Transparenz erhält, würden wir das gemeinsam schaffen. Wir haben fantastische Ingenieure, Ärzte, Pflegekräfte, Therapeuten – das ist überhaupt kein Problem für uns.

Warum ist die semantische Interoperabilität im Gesundheitswesen so schwierig?

Einerseits haben wir den Rahmen nicht geschaffen, dass es funktionieren könnte. Es wäre ja wichtig, dass wir eine E-Health Strategie hätten. Denn in der Strategie steht auch etwas zu Semantik drin. Welche Verfahren nutzt man und welche Terminologien sollte man Einsetzen oder sollte man diese überhaupt einsetzen? Das hat die Regierung, die Selbstverwaltung und die Industrie versäumt hier mitzumachen. Dass wir hier zum Beispiel auch bei der Intentionalen Gemeinschaft von SNOMED-CT mitwirken. Das ist sicherlich ein großer Punkt.

Wir lieben auch den Freitext. Für einen Arzt, der den Freitext erzeugt, für ihn reicht das aus. Es reicht sogar für den nächsten Arzt, der den Freitext ausliest. Aber in dem Moment wo wir mit Computern arbeiten, versteht der eine Computer nicht mehr den andren. Und alles was der Arzt als Freitext erstellt ist ein Blob, eine Blackbox und der Computer kann damit gar nichts mehr anfangen.

Ist dies auch ein Grund warum Mitarbeiter im Gesundheitswesen vor der Digitalisierung zurückschrecken? Es ändert Kommunikation, Prozesse, die Dokumentation und die Gewohnheiten.

Genau, die Gewohnheiten werden verändert. Die Ärzte wollen die Digitalisierung. Vielleicht die Funktionäre der Ärzte nicht, aber die Ärzte selbst schon, denn sie wissen was das für Vorteile bringt. Natürlich muss man sich verändern, aber wir haben es in der Radiologie gesehen. Ich kann mir gar keine analoge Radiologie mehr vorstellen und kein Arzt in Deutschland will die analoge Radiologie mehr haben. Das ist sicher ein Prozess, aber den müssen wir alle zusammen bestreiten.

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