Sichtweisen auf elektronische Patientenakte und Patientenportal
Im Zusammenhang mit Digitalisierungsbemühungen sind acht Jahre eine sehr lange Zeit. „Auch wenn Ausgestaltung und spätere Umsetzung von Gesetzesinitiativen ausreichend überdacht werden sollten, hat das Ende 2015 in Kraft getretene ‚Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (E-Health-Gesetz)‘ den Weg hin zur elektronische Patientenakte (ePA) noch immer nicht nachhaltig geebnet“, bemisst Dr. Manuel Iserloh, Geschäftsführer POLAVIS, den bisher erreichten Stand der Umsetzungen.
Teil des damals formulierten Ziels war es, die schnelle Einführung medizinischer Anwendungen für die Patienten zu ermöglichen. Seit Anfang 2021 können Versicherte eine ePA von ihrer Krankenkasse erhalten, bis Mitte 2021 mussten sich Leistungserbringer mit den für die Nutzung erforderlichen Komponenten ausstatten. Inzwischen befasst sich das Gesundheitsministerium mit den Rahmenbedingungen der Einführung und drängt auf schnelle Umsetzungserfolge.
Eine Schlüsselrolle bei der Realisierung der elektronischen Patientenakte nimmt die gematik ein. Spezifikationen, Funktionalität und Sicherheit der ePA werden dort erarbeitet. Kein einfaches Projekt, denn die elektronische Patientenakte soll bundesweit funktionieren. Dazu müssen hunderttausende medizinische Versorgungseinrichtungen mit einer Vielzahl an Softwaresystemen mit den jeweiligen Patienten-Apps der Krankenkassen kommunizieren.
„Heikel für den Erfolg solcher Einführungsprojekte sind Verflechtungen mit parallel stattfindenden Entwicklungen, wenn Projektinhalte und -ziele nicht abgestimmte Kongruenzen aufweisen. Von verschiedenen Seiten zunehmend kritisch wird deshalb das Zusammenspiel von ePA und KHZG gesehen. In einem lesenswerten Positionspapier des Bundesverbands Gesundheits-IT betrachtet der Verband genau dieses Zusammenspiel und die Rolle der gematik darin“, empfiehlt Dr. Iserloh.
Positionspapier des bvitg zu ePA und Patientenportal
Um die Gesundheitsversorgung der Patienten nachhaltig zu verbessern, arbeitet der Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg e. V. daran, Gesundheits-IT-Lösungen in allen Versorgungsbereichen in Deutschland nachhaltig zu etablieren. In einem Ende Oktober veröffentlichten Positionspapier befasst sich der Verband mit der Steigerung des Nutzens der elektronischen Patientenakte (ePA). Schwerpunkt der Veröffentlichung ist die Frage der Anknüpfung an die im Rahmen der KHZG-Förderungen eingeführten Patientenportale an die ePA.
In seiner Zusammenfassung der aktuellen Ausgangssituation weist der bvitg darauf hin, dass in den Überlegungen zur ePA seitens Gesetzgeber die Anforderungen an Krankenhäuser zur Bereitstellung der einzuführenden Patientenportale nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Es wird zwar eine Schnittstelle zwischen Portal und ePA gefordert, diese kann jedoch aufgrund der aktuellen gematik-Spezifikationen technisch nicht zur Verfügung gestellt werden.
Im Zuge des Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz – DigiG) sollte, so fordert der Bundesverband, die sich durchsetzende Nutzung der Patientenportale berücksichtigt und eine offene, standardisierte und durch die gematik definierte, bidirektionale Schnittstelle zwischen ePA und Patientenportal aufgenommen werden. Im aktuellen Entwurf findet das bislang keinen Eingang.

Nutzungsmöglichkeiten an den Gegebenheiten ausrichten
Die ePA soll flächendeckend umgesetzt und Patienten mit dem Gedanken des Opt-outs statt Opt-ins in die Anwendung gebracht werden. „Die Verwendung muss dann aber einfach verständlich sein, der Zugang für Patienten niederschwellig und – besonders wichtig – die Abläufe müssen in die Prozesse der Versorger eingepasst werden“, findet Dr. Manuel Iserloh. Gerade was diese Prozesse angeht, befindet sich die Kliniklandschaft aufgrund der Fördertatbestände im Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) im Wandel. Vielerorts sind die Digitalisierungsinitiativen in vollem Gange.“
Zukünftige Nutzungsmöglichkeiten der ePA müssen also heute schon mitgedacht werden, insbesondere mit Blick auf die bereits etablierten Patientenportale. Eine Anbindung der ePA an die geförderten Portallösungen ist notwendig, urteilt der Verband der Gesundheits-IT. Dadurch würden Mehrwerte für Patienten aufgezeigt und die Akzeptanz und Nutzung gesteigert.
ePA und KHZG-konforme Patientenportale
Das Positionspapier stellt die Vorteile einer Anbindung der ePA an KHZG-konforme Patientenportale, wie das POLAVIS Patientenportal, deutlich heraus. „Die Rollenverteilung zwischen ePA und Patientenportal ist seitens bvitg plakativ und treffend dargestellt“, unterstreicht Dr. Iserloh die Sichtweise. Patientenportale sollen die akute Gesundheitsversorgung der Patienten verbessern. Dokumente und Informationen, die für die jetzt stattfindende Behandlung relevant sind, müssen verarbeitbar sein. Darüber hinaus geht es aber vor allem um Prozessvorteile für Patient und Versorger. „Die ePA dagegen ist die langfristige Datensammelstelle. Transparenz und Verfügbarkeit sind wichtig, gerade wenn man nicht nur eine einzelne Behandlung, sondern einen Zeitraum über Jahre, vielleicht Jahrzehnte betrachtet.“
Ein Blick nach Österreich und in die Schweiz
Zeitlich gesehen sind uns unsere Nachbarn Österreich und die Schweiz einen Schritt voraus. Bereits am 1. Januar 2013 hat das österreichische Parlament nach umfassenden Verhandlungen das ELGA-Gesetz (Elektronische Gesundheitsakte) verabschiedet. Die Anbindung der E-Medikation und der öffentlichen Krankenhäuser ist inzwischen erfolgt. Für die Teilnahme bestand eine Widerspruchsmöglichkeit, von der aber nur ein sehr kleiner Anteil der Bevölkerung Gebrauch gemacht hat.
Mit dem Ziel einer komfortablen und benutzerfreundlichen Anwendung für das Fachpersonal des jeweiligen Versorgers wird die ELGA als zusätzliche Software in bestehende EDV-Systeme, beispielsweise das Krankenhausinformationssystem, integriert. Die Gesundheitsdaten der Patienten werden in den Systemen der behandelnden bzw. betreuenden österreichischen Krankenhäuser und Ordinationen gespeichert – und nur dort. Mit der elektronischen Gesundheitsakte werden die Gesundheitsdaten österreichweit über die verschiedenen Einrichtungen hinweg orts- und zeitunabhängig verfügbar gemacht. Ein Abrufen der verteilt gespeicherten, patientenbezogen gebündelten Daten kann ausschließlich bei einem vom Patienten bestätigten bestehenden Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis erfolgen.
Seit 2020 wird in der Schweiz schrittweise das Elektronische Patientendossier (EPD) vom Gesetzgeber eingeführt. Es ist ein Ablagesystem für behandlungsrelevante Informationen und enthält Kopien von Aufzeichnungen der elektronischen Krankengeschichte. Wie im Nachbarland werden auch in der Schweiz die Primärsysteme der Kliniken (Klinikinformationssysteme) an das EPD angebunden: entweder durch Integration des EPD in die Primärsysteme selbst oder durch Konnektoren, die eine Verbindung zwischen Primärsystem und EPD-Plattform herstellen können. Der große Unterschied zu Österreich und auch Deutschland besteht aber in der Dezentralität des EPD; insgesamt sieben verschiedene zertifizierte Anbieter bieten Elektronische Patientendossiers an. Auch die Datenspeicherung erfolgt nicht zentral, sondern dezentral in einem Zusammenschluss regionaler EPD-Umsetzungen, deren Vorgaben und Regelungen schweizweit gleich sind.