Situation niedergelassener Ärzte im internationalen Vergleich

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz hat den International Health Policy (IHP) Survey der amerikanischen Stiftung Commonwealth Fund (CWF) aus dem Jahr 2022 analysieren lassen und einen sehr umfangreichen Bericht zur Situation der niedergelassenen Ärzteschaft vorgelegt. Auch Daten zum deutschen Gesundheitssystem wurden in der Studie erhoben und in den Ausarbeitungen – jeweils gegenüber der Schweiz – bewertet. Die Situation der niedergelassenen Ärzte in Deutschland lässt sich aus den internationalen Vergleichen gut herauslesen.

Das Krankenhauszukunftsgesetz zielt auf die Modernisierung der Krankenhäuser und insbesondere auf die Digitalisierung und Ausgestaltung eines bundesweiten Standards ab. Ein höherer Grad an Vernetzung innerhalb des Gesundheitswesens wird angestrebt. Ein vernetztes Gesundheitswesen bezieht auch die Basis der niedergelassenen Hausärzte ein, die ihrerseits einen wesentlichen Beitrag zur Nutzung der geförderten Initiativen durch Patientinnen und Patienten leisten können. Zum Stand der Erhebung zeigt sich, dass in vielen Ländern die Digitalisierung bereits im Patientenalltag angekommen ist, in Deutschland jedoch noch deutliches Potenzial besteht: Hausbesuche statt Telemedizin, Einzelpraxen statt Versorgungszentren und im internationalen Vergleich wenig Vernetzung und Austausch von Daten.

Strukturelle Merkmale der ärztlichen Grundversorgung

Der hausärztliche Nachwuchs ist weiblich, während vor allem Männer im Alter von 65 Jahren oder älter noch arbeiten und einen großen Anteil der Hausärzte ausmachen. In Deutschland ist mehr als die Hälfte (53,4 Prozent) der Ärztinnen und Ärzte in der Grundversorgung 55-jährig oder älter, was im internationalen Vergleich dem ersten Rang entspricht – kein anderes Land weist in der allgemeinen Versorgung eine so kopflastige Alterspyramide auf.

Rund ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte arbeitet in Einzelpraxen – international ein hoher Wert. In der Konsequenz rangiert Deutschland bei der Anzahl ärztlicher Vollzeitstellen in einer Gruppenpraxis (Praxen mit mehr als einer Vollzeitstelle) in der Studie am unteren Ende. Auch wenn das Zahlenwerk keine Auskunft über die tatsächliche Anzahl an Praxen gibt, weisen andere Länder vor allem deutlich mehr größere Strukturen auf.

Bei der ärztlichen Verfügbarkeit außerhalb der gängigen Öffnungszeiten polarisiert Deutschland: Einerseits bieten fast 70 Prozent der Hausarztpraxen (an einem oder mehreren Wochentagen) Termine nach 18 Uhr an und Deutschland kann hier als einziges Land im Vergleich zur Vorstudie aus dem Jahr 2019 zulegen. Andererseits steht nur jede achte Praxis ihren Patienten am Wochenende zur Verfügung, ein vergleichsweise geringer Teil.

Sicherlich bedingt durch lange Wochenarbeitstage sind deutsche Ärztinnen und Ärzte bei den wöchentlichen Arbeitsstunden deutlich führend. 45 und mehr Stunden sind für über 80 Prozent der Befragten die Regel, unter 35 Stunden trifft nur bei 5,1 Prozent zu – andere Länder stellen diese Verteilung auf den Kopf. Noch größere Unterschiede zeigen sich in der Anzahl an Patientinnen und Patienten, die von Medizinern hierzulande in einer Woche gesehen werden: Im Mittel mehr als 250 Personen, etwa das Zwei- bis Dreifache der weiteren betrachteten Nationen. Entsprechend ist Deutschland Schlusslicht bei den Minuten, die während eines Routinetermins für den Patienten zur Verfügung stehen.

Eine niedergelassene Ärztin nutzt in ihrer Praxis das POLAVIS Patientenportal.

Administration wird als große Belastung empfunden

Neben der Einschätzung der wöchentlichen Anzahl an Patientinnen und Patienten und der durchschnittlich zur Verfügung stehenden Zeit pro Routinetermin wurden in der CWF-Studie die Belastungen durch administrative Aufgaben beleuchtet: Es zeigt sich eine deutliche Varianz über die untersuchten Länder hinweg – Deutschland nimmt aber immer einen der vorderen Plätze mit einer hohen gefühlten Belastung ein. So stellt der Zeitaufwand im Zusammenhang mit Versicherungen oder der Abrechnung für fast 60 Prozent ein großes Problem dar. Spitzenreiter ist die Schweiz. Etwas mehr als die Hälfte der befragten deutschen Allgemeinmediziner sieht in der Aufbereitung klinischer Daten bzw. Daten zur Behandlungsqualität für externe Organisationen ein großes Problem – mehr als in allen anderen Ländern. Für zwei von fünf Medizinern stellt die Dokumentation der Versorgung oder der Termine einschließlich der Aktualisierung der elektronischen Datenhaltung ein großes Problem dar.

Telemedizin mit deutlichem Aufholpotenzial

Können Patienten die Praxis ihres Allgemeinmediziners nicht aufsuchen, sind Hausbesuche in Deutschland nach wie vor präferierter Kontaktweg: Nahezu alle Ärztinnen und Ärzte geben an, auch Hausbesuche zu machen. Ganz anders sieht es bei Video-Konsultationen aus. Nur etwas mehr als ein Drittel der Studienteilnehmer nutzen dieses Potenzial „oft“ oder „gelegentlich“, trotz vermeintlichen Anschubs durch die Pandemie. Ganz anders beispielsweise in Großbritannien, wo die Ärzte der Grundversorgung inzwischen zu weit über 80 Prozent auf den Kontakt per Video setzen.

Grund für die geringe Durchdringung kann in der ebenfalls geringen Zufriedenheit seitens der Praktizierenden liegen: Nur jeder vierte Befragte ist sehr oder zumindest eher zufrieden mit der Nutzung der Telemedizin. Dabei spielt auch die Erwartung an die Herausforderungen bei der Einführung einer entsprechenden telemedizinischen Plattform eine Rolle – in Deutschland herrscht im Vergleich die größte Skepsis.

Vernetzung der Leistungserbringer

Die Vernetzung unterschiedlicher Leistungserbringer entlang der Patientenreise ist Grundlage einer integrierten und damit besseren, sichereren und effizienteren Versorgung. Entsprechend betrachtet die Studie verschiedene Aspekte der digitalen Transformation.

Im Rahmen der hausärztlichen Behandlung werden Patienten an Spezialisten überwiesen. Hierfür bedarf es des Austauschs von Informationen bzw. Patientendaten zwischen Hausarzt- und Spezialisten-Praxen. Während dieser Austausch in vielen Ländern sehr zuverlässig funktioniert, liegt Deutschland im Vergleich weit zurück. Hausärztinnen und Hausärzte geben nur zu 80 Prozent an, häufig oder meistens (in 50 bis 100 Prozent der Fälle) Patientendaten mitzuschicken, der letzte Platz im Ranking der Studie. In umgekehrter Richtung – vom Spezialisten hin zum Grundversorger – sind es sogar nur noch 66 Prozent, die nötige Informationen über Änderungen erhalten, die bei den Medikamenten oder bei der Behandlung ihrer Patienten gemacht wurden. Auch hier liegt Deutschland auf dem letzten Platz. Unserem Nachbarn, den Niederlanden, gelingt es dagegen beispielsweise zu fast 100 Prozent, sogar Informationen über einen Besuch in einer Notaufnahme an den zuständigen Hausarzt weiterzureichen.

eHealth-Instrumente in der Zusammenarbeit

Neben der allgemeinen, medienübergreifenden Betrachtung der Intensität und Zuverlässigkeit des Informationsflusses wurden auch Fragen zum digitalen Austausch einzelner Informationscluster gestellt. Nutzen Ärztinnen und Ärzte eHealth-Instrumente, um mit praxisexternen Gesundheitsdienstleistern zusammenzuarbeiten? Während in einigen Ländern eHealth längst Alltag ist und ausschließlich genutzt wird, zeigt sich Deutschland in allen erhobenen Kategorien weit abgeschlagen: Krankheitsbilder werden nur zu knapp über 20 Prozent digital (ohne Fax oder E-Mail) ausgetauscht, Labordaten immerhin zu etwas mehr als 40 Prozent und Medikamentenlisten zu etwas unter 30 Prozent. Das Potenzial der Digitalisierung ist vorhanden, das zeigt die Studie. Genutzt werden muss es noch deutlich stärker.