Die Digitalisierung der Krankenhauslogistik
Prof. Dr. Wilfried von Eiff, Leiter des Zentrums für Krankenhausmanagement an der Uni Münster und Direktor des Ludwig Fresenius Center for Healthcare Management and Regulation. Erfahren Sie hier, wie der Krankenhaus-Einkauf und die Krankenhaus-Logistik durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens revolutioniert wird.
“Krankenhaus 4.0? Wir sind heute beim Krankenhaus 1.5 bis 2.0. Wir haben also noch sehr viel Handlungsbedarf.”
Prof. von Eiff verortet den aktuellen Stand jedoch erst beim Krankenhaus 1.5 bis 2.0 und sieht daher großen Handlungsbedarf und sehr viel Arbeit. Insbesondere in der Neuorganisation, Rationalisierung, Verbesserung und letztlich digitalen Unterstützung von Prozessen. Es mache keinen Sinn, Prozesse, die heute nicht optimal laufen, durch Digitalisierung geschmeidiger zu machen, sie müssen vorher überarbeitet werden.
Die Akzeptanz aller Akteure des Gesundheitswesens für neue digitale Lösungen kann durch Transparenz gesteigert werden. Jede Veränderung löst Angst aus. Eine Veränderung ist für einen Mitarbeiter immer verbunden mit der Frage ‚Was hat das für Auswirkungen für mich, für meinen Berufsstand, für meine Arbeitsweise, für mein tägliches Brot?‘ – da gilt es Angst zu nehmen und Angst nimmt man durch Transparenz.
Doch es werden zukünftig auch Jobs im Gesundheitswesen wegfallen: Bei allen routinisierbaren und standardisierungsfähigen Prozessen wird es eine Reduktion von Personal geben, meint Prof. von Eiff. Das Personal wird jedoch an anderer Stelle gebraucht und insofern tut die Digitalisierung gut im Hinblick auf den Personalengpass, denn sie eröffnet Chancen, mit diesem konstruktiv umzugehen.
Das Krankenhaus 4.0 stellt sich Prof. von Eiff so vor: Es gibt keinen separaten Orderprozess mehr, die Produkte werden aus elektronischen Versorgungsschränken entnommen, die automatisch mit Logistikpartnern kommunizieren. Alle informationsgebenden Geräte, von der Infusionspumpe über das radiologische Gerät über das Ultraschallgerät sollten miteinander verbunden sein. Und alle diese Informationen landen letztlich in einer Patientenakte, die sowohl einen medizinischen als auch einen ökonomischen Teil hat. Im ökonomischen Teil kann man nachkalkulieren, was hat der Patient gekostet und im medizinischen kann man nachvollziehen, was er alles an medizinischen Leistungen empfangen hat und was in Zukunft noch notwendig ist.
Lesen Sie das vollständige Interview!
Prof. Dr. Wilfried von Eiff, Sie sind Leiter des Zentrums für Krankenhausmanagement an der Uni Münster und Direktor des Ludwig Fresenius Center for Healthcare Management and Regulation. Wie verändern sich die Prozesse und die Zusammenarbeit im Einkauf und der Logistik in Krankenhäusern im Zuge der Digitalisierung? Wo sehen sie noch Handlungsbedarf und welche Fortschritte hat es in den letzten Jahren gegeben?
Zunächst mal muss man feststellen, dass durch die Digitalisierung sowohl der Krankenhaus-Einkauf als auch die Krankenhaus-Logistik revolutioniert werden. Man muss sich das so vorstellen, dass man Prozesse, die heute zu den Routineprozessen gehören, Abrechnungsprozesse, Bestellprozesse, dass diese Prozesse automatisiert werden; das heißt: sie werden ohne dass ein Mensch sich einschaltet, indem er einen Prozess anstößt, automatisch angestoßen und dann auch automatisch zu Ende geführt. Und das bedeutet, dass alle routinisierbaren, standardisierbaren Prozesse in Einkauf und Logistik eines Krankenhauses letztlich durch die Digitalisierung auch entmenschlicht werden. Das heißt, hier werde ich keine Menschen mehr brauchen, die diese Arbeiten dann durchführen.
Und wie sieht das in der Praxis aus? Sind wir schon so weit oder ist da noch viel Handlungsbedarf vorhanden?
Also in der Praxis würde ich sagen, man spricht ja immer vom Krankenhaus 4.0, das ist das Krankenhaus, das eben total digitalisiert ist, da sind wir noch ein ganzes Stück weit entfernt. Ich würde vorschlagen, wir sind heute beim Krankenhaus 1.5 bis 2.0. Wir haben also noch sehr viel Handlungsbedarf. Das heißt aber auch: Wir haben noch sehr viel Arbeit, insbesondere um die Prozesse neu zu organisieren, zu rationalisieren, zu verbessern und dann eben erst digital zu unterstützen. Es macht keinen Sinn, Prozesse, die heute nicht optimal laufen, durch Digitalisierung etwas geschmeidiger zu machen. Das wird uns auf Dauer nicht helfen.
Wenn es um Digitalisierung geht spricht man oft von Vernetzung. Welche Rolle spielen heute vernetzte Logistiklösungen in Krankenhäusern und welche Vorteile haben sie?
Wenn wir von Vernetzung reden im Sinne der Digitalisierung, dann sprechen wir natürlich in erster Linie von einer Verbindung des sogenannten Internet of Things mit einem Internet of Services und einem Internet des Knowledge, das heißt, wo Wissen abrufbar gemacht wird. Und diese Vernetzung, die strebt eigentlich die Digitalisierung im Krankenhaus an. Ich will eben diese Bereiche miteinander so verbinden, dass ich einen maximalen Effekt herausholen kann. Wenn Sie bedenken, es gibt sehr viele Sensoren im Sicherheitsbereich eines Krankenhauses; wenn Sie diese Sensorik jetzt verbinden mit der Sensorik bei Infusionspumpen, dann können Sie sofort die Infusionspumpen steuern, wenn in der Sicherheitstechnik irgendein Modul ausfällt. Das heißt, diese direkte Verbindung, das versteht man unter Vernetzung im Sinne der Digitalisierung. Für Einkauf und Logistik bedeutet das, dass ich in Echtzeit-Kommunikation mit den Beteiligten in einem solchen Beschaffungsverbund verbunden bin, das ist der Lieferant, das ist der Anwender, das ist der Controller, das ist möglicherweise der Einkäufer und der Techniker und die sind in einem Verbund direkt so zugeschaltet, dass man ohne Fehler in der Kommunikation, ohne Reibungsverluste und vor allen Dingen ohne Medienbruch miteinander kommunizieren kann.
Ist Ihrer Meinung nach die notwendige Akzeptanz für neue digitale Lösungen bei den Mitarbeitern vorhanden oder gibt es auch Vorbehalte oder festgefahrene Strukturen, die Barrieren darstellen?
Jede Veränderung löst Angst aus. Eine Veränderung ist für einen Mitarbeiter immer verbunden mit der Frage ‚Was hat das für Auswirkungen für mich, für meinen Berufsstand, für meine Arbeitsweise, für mein tägliches Brot?‘ – und da gilt es Angst zu nehmen und Angst nehme ich durch Transparenz. Ich muss erklären, welche Möglichkeiten in der Digitalisierung bestehen, auch welche Risiken möglicherweise damit verbunden sind und aufgrund dieser positiven Einstimmung wird man auch die Mitarbeiter dazu bekommen, sich einer solchen Bewegung anzuschließen.
Man muss sogar noch einen anderen Punkt mit einfließen lassen: Nehmen wir mal den Hauptakteur im Einkaufs- und Logistikbereich – das ist der Einkäufer. Der Einkäufer muss seine Rolle neu definieren. Er ist nicht mehr der reine Preisverhandler, sondern oder auch der Sucher von neuen Märkten. Er ist auch der, der sozusagen Schwarmintelligenz im Netz mobilisieren muss, das heißt, er muss bei anderen Kollegen oder bei anderen Nutzern durch ständigen Kontakt erfragen, welche Medizinprodukte sind besonders preisgünstig, welche haben einen besonderen Nutzen bei bestimmten Patientenkonfigurationen, welche haben einen besonderen Nutzen beim Ablauf im OP? Solche Dinge, das wird er in Zukunft vermehrt als Aufgabenstellung wahrnehmen müssen und nach innen hin muss er den kompletten Prozess der Beschaffung, der sehr komplex ist, orchestrieren. Das heißt, er muss das Buying Center Krankenhaus organisieren. Und das Buying Center besteht eben aus einer Vielzahl von Einfluss nehmenden Menschen – der eine ist Nutzer, der andere ist gut informiert und kann einen Einfluss abgeben, er kann eine Meinung abgeben, der dritte ist vielleicht in der Finanzabteilung und verfügt über das Budget – diese unterschiedlichen Aspekte müssen orchestriert werden und das wird die Aufgabe des Einkäufers nach innen hin sein.
Sie meinten, es gibt eine gewisse Angst bei Erneuerungen, aber Sie meinen auch, dass gewisse Jobs wegfallen werden – also ist diese Angst schon auch irgendwie ein bisschen begründet. Welche Jobs werden sich zukünftig verändern bzw. wegfallen?
Das ist relativ einfach festzustellen: alle diejenigen, die leicht standardisierbar und routinisierbar sind, diese Prozesse, dafür werden wir keine Menschen mehr brauchen. Also der Order-Prozess wird unter Umständen angestoßen durch die Entnahme eines Produktes aus einem Schrank, weil dort ein Sensor etabliert ist, der dann über eine elektronische Schnittstelle diese Informationen der Entnahme weitergibt an einen logistischen Dienstleister. Das heißt, es wird kein Prozess mehr erforderlich sein, um die Lücke zu identifizieren, also die Bedarfslücke zu identifizieren. Es wird nicht erforderlich sein, einen Bestellvorgang auszulösen, einen Bestellschein zu schreiben usw. Also diese routinisierbaren Prozesse und standardisierungsfähigen Prozesse, da wird es auch eine Reduktion von Personal geben. Wir brauchen aber das Personal an anderer Stelle und insofern tut uns insgesamt gesehen im Krankenhauswesen die Digitalisierung gut, weil wir haben ohnehin schon mit einem Personalengpass zu rechnen – und in Zukunft immer mehr – da gibt uns die Digitalisierung die Chance, mit diesem Personalengpass vielleicht doch konstruktiv umzugehen.
Wie sieht das Hospital 4.0 im Idealfall für Sie aus?
Hospital 4.0, das bedeutet für mich: Aus dem OP-Plan für eine Woche leite ich automatisch ab, welche Medizinprodukte ich zu welchem Zeitpunkt brauche. Die werden dann auch zeitpunktgerecht angeliefert, so dass keine Verzögerungen im Ablauf existieren. Der ganze Orderprozess läuft automatisch. Es wird automatisch überprüft, ob diese Produkte auch die richtigen sind, im ökonomischen Sinn beziehungsweise im handhabungstechnischen Sinn was die medizinische Vorteilhaftigkeit angelangt, das wird automatisch laufen. Es gibt keinen separaten Orderprozess mehr, sondern ich werde Produkte teilweise aus elektronischen Versorgungsschränken entnehmen, die diese Kommunikation mit dem anderen Logistikpartner sozusagen automatisch führen. Das ist das Krankenhaus 4.0.
Dazu kommt eben noch, dass alle informationsgebenden Geräte, von der Infusionspumpe über das radiologische Gerät über das Ultraschallgerät bis Gott weiß wohin, die sind alle miteinander verbunden und alle diese Informationen landen letztlich in einer Patientenakte, die sowohl einen medizinischen als auch einen ökonomischen Teil hat. Im ökonomischen Teil kann ich nachkalkulieren, was hat mich der Patient gekostet und im medizinischen kann ich eben nachvollziehen, was er alles an medizinischen Leistungen empfangen hat und was in Zukunft noch notwendig ist.
Vielen Dank für das Gespräch!