Schwester, Cousine, Onkel: Aufgewachsen ist Nils Bergmann, Gründer und Geschäftsführer von dianovi, in einer Ärztefamilie. Diese Nähe zum Gesundheitswesen hat sein dahingehendes Interesse geweckt und die spätere Gründeridee geliefert. „Bei ihrer Arbeit als Ärztin in der Notaufnahme wurde meine Schwester anfangs ins kalte Wasser geworfen: wenig Erfahrung, Zeitdruck, häufige Nachtschichten, Stress und dazu die beständige Konfrontation mit unterschiedlichsten Krankheitsbildern“, beschreibt Nils Bergmann die beruflichen Herausforderungen in der Notfallversorgung. „Unter diesen Bedingungen sind lebenswichtige Entscheidungen zu treffen und natürlich kann es dabei zu Fehlern kommen. Hier haben wir Chancen gesehen, technisch zu unterstützen, um die Fehlerwahrscheinlichkeit zu reduzieren.“

Bergmann und seine beiden Mitgründer sind Absolventen der Technischen Universität Darmstadt, haben dort gemeinsam studiert. Der positive Beitrag war den dreien wichtig, dafür ist das Gesundheitswesen prädestiniert. Heute leistet dianovi diesen Beitrag durch personalisierte Entscheidungsunterstützungstools speziell für die Notaufnahme, die dort neben der medizinischen Qualität auch die wirtschaftliche Effizienz verbessern können. „Wir konnten schnell mehrere Universitätskliniken davon überzeugen, mit uns zusammenzuarbeiten. Die Pilotphase unserer ersten Software haben wir bereits erfolgreich abgeschlossen, jetzt gehen wir in den Live-Betrieb. Eine zweite Lösung durchläuft gerade die notwendigen Zertifizierungsprozesse, um als Medizinprodukt zugelassen zu werden.“

Sicherheitsaspekte in der Konzeption verankert

Als Informatiker hat Bergmann selbst auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz geforscht, unter anderem an CT- und MRT-Bildern. „Bei den bildgebenden Verfahren gibt es sehr gute KI-Anwendungen, die von Ärzten angenommen werden. Wir haben für die Entscheidungsunterstützung ein entsprechendes Modell auf Basis klinischer Informationen entwickelt, die in tabellarischer Form oder als Text vorliegen. Wie sich herausgestellt hat, funktioniert das richtig gut. Viele Anbieter, so mein Gefühl, wollen sich mit dem Begriff KI eher schmücken. Für uns steht aber der Mehrwert dieser Technologie klar im Vordergrund, denn damit lassen sich sehr große Datenmengen gut verarbeiten.“

Eine Ärztin nutzt KI-Unterstützung in der Radiologie

Anstelle einer generativen Form, die sich intelligente Antworten ausdenkt, setzt dianovi auf eine auf Datenpunkten trainierte Intelligenz, die mit statistischen Wahrscheinlichkeiten arbeitet. Qualität wird durch ein geschlossenes System gewährleistet: Rückmeldungen der Ärzte zu ihren tatsächlich getroffenen Entscheidungen werden gesammelt und geprüft, bevor die KI sich dieses neue Wissen aneignen darf. Erst nach ausführlichen Tests und Freigabe durch einen Menschen ist ein aktualisierter Softwarestand für Kunden verfügbar. Das vermeidet das Problem offener Modelle, deren Datenbasis durch Anerkennung wiederkehrender Falscheingaben zunehmend verzerrt wird.

Verantwortung der Anbieter, verantwortungsvolle Anwender

„Das Gesundheitspersonal in der Notaufnahme ist sehr technologieoffen. Ärzte haben ein gutes Verständnis für neue Systeme und sind gerne bereit, diese auszuprobieren“, unterstreicht Nils Bergmann die Entscheidung für die Notfallmedizin. „Bedenken habe ich eher hinsichtlich des Hypes rund um Künstliche Intelligenz. Viele Seiten vermitteln das Gefühl, damit wirklich alles lösen zu können. Blind zu vertrauen, kann aber gefährlich sein. Darüber haben wir uns viele Gedanken gemacht: Wir binden die Anwender während der Nutzung in die Prozesse ein, animieren immer dazu, die Vorschläge unseres Systems mit gesundem Menschenverstand kritisch zu hinterfragen. Entsprechende Mechanismen sollten alle Anbieter einbauen, Systeme müssen transparent sein und ermöglichen, Schritte und Antworten nachzuvollziehen. Was die Notaufnahme angeht, haben wir das Gefühl, dass die Funktion und auch die Grenzen unserer Lösung verstanden werden.“

Eine verantwortungsvolle Anwendung fördert die Sicherheit, daneben sind es aber auch Datenschutz und Datensicherheit, über die sich das Team um Bergmann Gedanken macht: Die Daten verbleiben im Krankenhaus, also im Einflussbereich klinikeigener Sicherheitskonzepte. Nur die reine Rechenleistung findet in der Cloud statt. Ausschlaggebend sind der Umfang der benötigten Leistung bzw. die hohen Kosten einer alternativen lokalen Bereitstellung. „Wir können entsprechende Zertifikate vorweisen, halten alle Vorgaben ein und nutzen Server in Deutschland. Soweit dahinter ein gut ausgearbeitetes Datenschutzkonzept steht, und Daten verschlüsselt verarbeitet werden, sind Kliniken offen für solche Lösungen.“

Unterschiedliche Anwendungsfälle vereint

In der Notaufnahme wird, anders als im stationären Bereich, nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgerechnet. Damit Leistungen hier vollständig abgebildet werden können, muss während der Behandlung umfassend dokumentiert werden. „Es gibt beispielsweise einen Diagnosezuschlag, wenn Patienten das Frailty Syndrom (Gebrechlichkeit) haben. Für den behandelnden Arzt mag das Syndrom wenig aussagekräftig sein und dementsprechend nicht im Arztbrief aufgeführt werden – wird es nicht aufgeführt, kann das Krankenhaus diesen Zuschlag jedoch später nicht abrechnen. Oft ist die Abstimmung zwischen den ärztlichen und kaufmännischen Funktionen aus Zeitgründen in diesem Punkt suboptimal. Unsere Entscheidungsunterstützung liefert direkte Hinweise darauf, was für eine korrekte Rechnungstellung aufgeführt werden muss. Gerade für die Notaufnahme – für Krankenhäuser zumeist ein Minusgeschäft – ist das relevant. Bessere Abrechnungsprozesse können dieses Minus abfedern“, erklärt Nils Bergmann die Vorteile.

Klinisches Personal trifft Entscheidungen mit Hilfe von Entscheidungsunterstützungssystemen

Die Motivation für ihren Antritt ziehen die Gründer aber jenseits ökonomischer Aspekte: „Praktische ärztliche Erfahrung“, so Bergmann, „ist unersetzlich.“ Medizin ist jedoch auch Statistik: Kombinationen von Symptomatiken, Vitalparametern und Laborwerten führen mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit zu spezifischen Diagnosen. „Riesige Datenmengen verstehen und sofort statistische Wahrscheinlichkeiten ableiten, das kann eine Software besser als ein Mensch. Sie weiß sofort: Bei 100.000 Fällen einer Systematik wurde zu 85 Prozent eine Diagnose gestellt. Hier unterstützt unser System: Unter Berücksichtigung des Patienten bilden wir die Statistik ab und gehen damit über reine Leitlinien hinaus. Gleichzeitig forcieren wir aber weiterhin, eigenständige Entscheidungen aufgrund von Erfahrungen zu treffen.“

Durch gute Balance mehr Zeit für Patienten

Je schneller gute Entscheidungen getroffen werden und je weniger Raum administrative Aufgaben einnehmen, desto eher lassen sich die Auswirkungen des spürbaren Personalmangels im Gesundheitswesen abfedern. Hier sieht Nils Bergmann eine Reihe von Ansatzpunkten für eine Entscheidungsunterstützung: Mit dem Physician Assistant kommt ein neues Berufsbild hinzu, das medizinische Aufgaben übernimmt und von der Software profitieren kann. Ebenso sind es aber auch jüngere und vielleicht unerfahrenere Ärzte, die Fach- und Oberarztpositionen nachbesetzen. „Auf der einen Seite steht die allgemeine Zeitersparnis zugunsten der Patienten, auf der anderen Seite stehen ressourcensparende Behandlungsschritte. Wir legen Wert auf die richtige Balance und unser System hilft dabei, die Diagnostik mit den richtigen Fragen und schnellen, kostengünstigen Schritten zu beginnen, anstatt mit aufwendigen, teuren Maßnahmen. Gerade in der Notaufnahme übernehmen Assistenzärzte überwiegend allein die Verantwortung – es gibt zwar einen Oberarzt, aber man möchte auch nicht nachts um 2 Uhr für einen Diagnoseabgleich stören. Deswegen wird unser Angebot dort so gut angenommen.“