Smarte Logistik im Krankenhaus – Entlastung und Effizienz durch digitale Prozesse
Die Krankenhauslogistik ist ein komplexes und herausforderndes Gebiet. Eine hohe Bandbreite an Gütern muss bestellt, vorgehalten und an den vielen dezentralen Stellen im Krankenhaus verfügbar sein. Das Ganze mit ausreichend Sicherheit an Verfügbarkeit und unter Berücksichtigung der Mindesthaltbarkeit. Gleichzeitig müssen Bestände und Kapitalkosten möglichst niedrig sein. Das vom BMBF-geförderte Projekt “Hospital 4.0” zeigt, wie Prozesse und Abläufe in der Krankenhauslogistik digital optimiert und Mitarbeiter entlastet werden können.
Aufgrund der hohen Komplexität stoßen Logistik-Prozesse im Krankenhaus schnell an analoge Grenzen, die sich durch Individualoptimierungen der Bestellanforderungen oder aufgrund des personengebundenen Know-hows im Logistikteam noch weiter einengen. Das gerade abgeschlossene Verbundprojekt “Hospital 4.0” unter Förderung des BMBF verdeutlicht, wie digitale Prozessunterstützung und smarte Tools die Komplexität der Prozesse beherrschbar machen und gleichzeitig zu einer einer echten Entlastung für alle beteiligten Mitarbeitergruppen im Krankenhaus führen. Als Technologiepartner des Projektes hat POLAVIS die beiden Endpunktbereiche der Logistik, die „Bestellanforderungen Stationslager“ und die „Warenannahme Zentrallager“ auf einer digitalen Plattform abgebildet und optimiert. Mit den wissenschaftlichen Partnern Fraunhofer FIT und der Hochschule Ingolstadt wurden die Optimierungen für die Krankenhauslogistik gemeinsam konzipiert, vermessen und bewertet.
Digitale Logistikprozesse für das Uniklinikum Augsburg und das Klinikum Bayreuth
Im Fokus der Optimierungen standen die Logistikprozesse des Universitätsklinikum Augsburg und des Klinikums Bayreuth. Beide Häuser stehen aufgrund ihrer Größe und des breiten Leistungsspektrums jeden Tag vor der Herausforderung, eine optimierte Versorgung mit medizinischem und nicht medizinischem Sachbedarf zu planen und durchzuführen. Im Universitätsklinikum Augsburg werden jährlich 230.000 Patienten behandelt, dafür stehen rund 1.750 Betten zur Verfügung. In Bayreuth sind es 108.000 Patienten bei knapp 1.100 Betten. Das Projekt hat zu diesen Herausforderungen über Referenzmodelle optimierte, digitale Prozesse für die Logistik konzipiert, die durch POLAVIS in einer webbasierten Modulerweiterung mit Anbindung an die Materialwirtschaft des KIS umgesetzt wurden.
Erfolgreiche Optimierung des Zentrallagers
Aufgrund des stochastischen Patientenaufkommens mit unterschiedlichen Krankheitsbildern und Behandlungszeitpunkten ergeben sich für die Logistik hohe Bedarfsvarianzen und Prozessvariabilität. In der Warenannahme müssen darüber hinaus hochvolumige Standardartikel wie OP-Handschuhe (Palettenware) gleichermaßen bearbeitet werden wie empfindliche Implantate mit Einzelverfolgung der Seriennummer bis zur OP und Zuordnung zum Patienten.
Über das System können Artikelstammdaten und Bestelldaten zunächst aus dem MaWi-System übernommen werden. Die Materiallogistikprozesse im Lager laufen anschließend durchgängig im webbasierten Logistik-Modul ab und werden insbesondere durch den Einsatz digitaler Technologien (Scan-Handschuh, RFID, OCR) und die Nutzung des standardisierten UDI- (Unique Device Identifier) -Codes unterstützt. So können die Bearbeitungszeiten in der Warenannahme und in den dezentralen Lagerorten durch die Vermeidung von Medienbrüchen reduziert, die Datenerfassung automatisiert und unnötige Prozessschritte vermieden werden.
Zusätzlich konnten neue, qualitätssichernde Prozessschritte ohne große zusätzliche Aufwände eingeführt werden (z.B. Kontrolle des Verfallsdatums, Dokumentation von Chargen- und Seriennummern). Die relevanten Daten in Form von Wareneingangslieferscheinen und Materialanforderungen können wieder an das MaWi-System übergeben und die nachfolgenden Prozessschritte automatisiert ausgelöst werden (Einlagerung, Kommissionierung).
Gemäß der Aufnahme zu Projektbeginn werden für die „analoge“ Warenannahme im Durchschnitt 2 Minuten pro Artikelposition benötigt. In den Prüftests konnten mit dem digitalen Prozess die Artikel in weniger als 1 Minute vereinnahmt werden.
Entlastung der Stationslager durch digitale Bestandsmeldung
In den dezentralen Stationslagern müssen Bestände regelmäßig kontrolliert und fehlende Artikel nachbestellt werden. Dafür sind in der Regel die Versorgungsassistentinnen zuständig, die in Rundgängen alle Fächer der Modulversorgung überprüfen und bei Erreichen der Mindestbestände eine Bedarfsanforderung auslösen. Der Prüfprozess ist ein weitgehend manueller Prozess über händische Strichlisten mit anschließender Eingabe in die MaWi. Das bedingt, dass das Anforderungsverhalten nur schwer gepoolt werden kann und unter Umständen mehrfach Bestellungen an Lieferanten ausgegeben werden, wenn die Bestände im Zentrallager nicht ausreichen.
Das im Projekt entwickelte Logistikmodul für die Stationen basiert auf einer digitalen Bestandsmeldung. Die in der Modulversorgung eingesetzten Etiketten wurden zusätzlich mit RFID ausgestattet. Bei Erreichen des Mindestbestands wird direkt über das Auslesen der RFID automatisch und ohne weitere manuelle Eingaben eine Anforderung erstellt und die Bestandsreduzierung an die Warenwirtschaft gemeldet. Dadurch entfällt der in der Praxis sonst übliche Versatz zwischen Erreichen der Mindestmengen und Anforderung aufgrund der Rundgänge. Bei Anlieferung neuer Artikel im Stationslager werden diese digital erfasst und auf Ebene der Einzelartikel mit der Anforderung abgeglichen. Abweichungen werden automatisch transparent gemacht und können bei Bedarf in Workflows zur weiteren Bearbeitung eingesteuert werden. Daher können auch MHD- und Artikelverfolgung in den dezentralen Lagern sichergestellt werden, die sich im analogen Prozess nur schwer umsetzten lassen.
Im analogen Prozess benötigt die Versorgungsassistentin gemäß Erstaufnahme für die Erfassung aller Bedarfsanforderungen ca. 1h (inkl. 30min Synchronisation der Handscanner). Bei 2-3 Rundgängen pro Woche und Stationslager kommt somit ein Aufwand von ca. 1 Arbeitstag zusammen. Durch die neue Software werden die Anforderungen nun direkt erfasst und der Rundgang entfällt komplett. Demgegenüber steht ein erhöhter Aufwand für die Bestückung der Fächer bei Anlieferung, da hier zur Herstellung der Bestandstransparenz die Bestückung per Scan dokumentiert wird. Insgesamt liegt der Mehraufwand im Dauerbetrieb aber voraussichtlich unter dem gewonnen Einsparungseffekt und „finanziert“ so die Vorteile in der Artikelverfolgung.
Das Projekt Hospital 4.0 hat gezeigt, dass Prozesse auf Basis einer umfassenden Potenzialanalyse optimiert und das Tagesgeschäft in Gesundheitsorganisationen und Pflegeeinrichtungen deutlich entlasten können. Der Einsatz von digitalen Lösungen und innovativen Technologien sowie eine entsprechende Qualifikation des Personals trägt nicht nur zu einer allgemeinen Verbesserung der Patientenversorgung bei, sondern unterstützt gleichsam bei der Entlastung von Personal und der Reduzierung von wertvollen Ressourcen und Kapazitäten. “Das Projekt verdeutlicht, dass Logistikprozesse durch den Einsatz digitaler Technologien verschlankt und an sinnvollen Punkten automatisiert werden können, wodurch das Krankenhauspersonal mehr Zeit für die Pflege von PatientInnen gewinnt. Der Einsatz etwa von Radio-Frequency Identification (RFID) macht relevante Informationen in Echtzeit verfügbar und ermöglicht die Vernetzung aller am Klinikbetrieb beteiligten Akteure und Ressourcen. So kann erhebliches Potenzial für eine verbesserte Krankenhausversorgung gehoben werden”, so Prof. Dr. Henner Gimpel von der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT.