Gesundheit 4.0 – Welches Update braucht unser Gesundheitssystem?

Diskussionsrunde auf der Digital Health Conference 2018 in Berlin
Lesen Sie hier das Interview zur Gesundheit 4.0 und welche Updates unser Gesundheitssystem braucht.
Maria Klein-Schmeink – Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, MdB, Sprecherin für Gesundheitspolitik
Dr. Pablo Mentzinis – SAP, Director Government Relations
Steffen Ball – Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte e.V. (dsai), Stellvertretender Bundesvorsitzender
Daniel Finger – rbb, Moderator
Maria Klein-Schmeink: Eines der Wesensmerkmale der Gesundheitspolitik ist die Unübersichtlichkeit, die auf die vielen Akteure im Gesundheitswesen zurückzuführen ist. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass es eine Politik mit konsequenter Patientenorientierung gibt.
Dr. Pablo Mentzinis: Ein zentraler Punkt sind die Strukturen im Gesundheitswesen. Sie führen dazu, dass wir im Gesundheitswesen verschiedene Einheiten haben, was in der Datenwelt zu Silos führt. Diese Datensilos verhindern eine ganzheitliche Sicht auf den Patienten. Patientenzentrierung ist das, was wir alle anstreben, aber es ist auch im Kern der Grund, woran die Strukturen und Reformen gescheitert sind. Wir denken doch immer wieder in Silos, müssen zum Teil auch so denken, aufgrund regulatorischer Rahmen. Wenn das uns im Weg steht und wir nicht soweit kommen den Patienten holistisch zu sehen, hemmt das natürlich sowohl die medizinische Forschung als auch die medizinische Versorgung.
Daniel Finger: Welche Teile des Gesundheitssystems brauchen ein Update besonders dringend und welche Teile funktionieren soweit erst einmal? Wir müssen ja nicht gleich alles anfassen.
Maria Klein-Schmeink: Ich glaube das Zauberwort muss sein: Zusammenarbeit und vernetzte Leistungserbringung. Insofern ist auch alles was wir unter Digital Health besprechen eher instrumentell an dieser Stelle. Übergreifend muss es darum gehen, wie man mehr Zusammenarbeit und koordinierte Leistungserbringung und Versorgung hinbekommt. Da muss man, wenn man vom Menschen aus denkt, von der untersten Ebene aus denken. Deshalb bin ich eine große Verfechterin zu sagen, wir müssen auf der kommunalen, auf der örtlichen Ebene, digitalen Vernetzung und sehr viel Leistungserbringung und Verantwortung bündeln. Also auch, regionale Budgets schaffen, wo sich dann vor Ort die Akteure zusammentun und schauen, wie krieg ich eine gute Versorgung hin.
Wenn wir jetzt das Beispiel einer seltenen Erkrankung nehmen, hat man ja nicht nur eine seltene Erkrankung, sondern man hat auch einen relativ komplexen Hilfe-, Unterstützungs- oder Ausgleichsbedarf. Da ist man nie nur gut damit bedient, dass man einen Arzt gefunden hat, der sich hier auskennt. Meistens hängt hier noch ein zusätzlicher Unterstützungsbedarf hier dran. All das kann man auf der örtlichen Ebene am einfachsten hinbekommen. Regionales Empowerment für die örtlichen Ebenen macht sehr viel Sinn, aber momentan geht das Gesundheitssystem in die andere Richtung. Es geht in Richtung Zentralisierung.
Steffen Ball: Der Mut Daten zuzulassen muss von oben kommen. Ein niedergelassener Arzt sieht manche Patienten nur einmal im Leben. Das gäbe es schon mehr Chancen, wenn man hier Datenaustausch zulassen würde. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Politiker beim Thema Daten eher Phobien und Angstschweißperlen bekommen, als die Chancen zu sehen. 30 % der Patienten teilen Ihre Daten gerne mit der Krankenkasse, 50 % würden sie mit Ihrem Arzt teilen. Ich will nicht gegen den Datenschutz sprechen, aber der Mut auch mal Daten zuzulassen, der Mut miteinander zu reden, der Mut nicht immer die Pharmaindustrie gleich zu verdammen, sondern möglicherweise als wichtigen Partner in diesem System zu sehen, dieser Mut muss von oben kommen, der kann nicht von unten kommen.
Dr. Pablo Mentzinis: Ein Update hat natürlich eine klare technologische Komponente. Wir müssen bedenken, dass Menschen mobil sind. Deshalb bleiben Menschen nicht ihr ganzes Leben beim gleichen Arzt. Man braucht ein Werkzeug, dass mit den Menschen mitläuft. Das kann nur die Patientenakte sein. Wenn wir von Update reden, dann ist es, glaube ich zweierlei:
- Zum einen gibt es eine sehr heterogene Entwicklung bei den Akten. Es gibt unterschiedlichste Formen. Die aus der Forschung, aus dem Versorgungsumfeld und und und. Überall werden jetzt Patientenakten aufgebaut. Heute traut sich noch kein Mensch zu sagen, wie das alles zusammenkommen soll. Ich glaube, das ist die ganz große Herausforderung, dass zusammen zu führen. Hier sehe ich natürlich auch die Politik im Driver Seat, dass man hier Spielregeln vorgibt, wie so etwas interoperabel funktionieren soll. Das ganze muss eben tatsächlich interoperabel sein, sonst ist den Menschen nicht damit geholfen.
- Wir haben ja Diskussionen, dass es Anonymität nicht gibt. Anonymität ist nicht möglich, denn wann immer man Daten miteinander verknüpft, lässt sich hier wieder ein Rückschluss ziehen. Ja klar, das ist so. Ich kann auch keine 100%ige Sicherheit herstellen. Trotzdem muss ich, gerade als Politiker mir Gedanken machen, welche Sicherheit reicht mir denn und wie viel Anonymität reicht mir, damit wir guten Gewissens sagen können, die Daten können in einem Forschungskontext genutzt werden. Das wären die Fragen, wo ich meine, da ist wirklich ein Update erforderlich.