Aufbauend auf Erfahrungen der 30er und 40er Jahre prägte der Sozialphilosoph und Anthropologe Frithjof Bergmann den Begriff der Neuen Arbeit. Der gebürtige Österreicher war unter anderem Tellerwäscher, Preisboxer, Fließband- und Hafenarbeiter und schrieb Theaterstücke. Sein Philosophiestudium in den Vereinigten Staaten und sein späterer Lehrauftrag verfestigten seine Ansichten: In seinem Werk „Philosophie der Neuen Arbeit“ betrachtete er industrialisierte Arbeitssysteme und notwendige neue Werte der Arbeit. Kern war für ihn die Frage, womit Menschen ihre Zeit verbringen wollen und welche Rolle die Arbeit in diesem Gefüge einnimmt.

Digitalisierung, Fachkräftemangel und die Pandemie haben die Veränderungen, denen unsere Arbeitswelt unterliegt, zuletzt beschleunigt und in andere Bahnen gelenkt und damit Bergmanns Theorien zu neuer Relevanz verholfen. Auch wenn sich seine ursprünglichen Gedanken im heutigen Verständnis von New Work nur unscharf abzeichnen, betont der Begriff immer wieder neu die Bedürfnisse und Erwartungen der Arbeitenden. Wer ins Homeoffice geschickt wurde, konnte einen persönlichen Eindruck und – obwohl inzwischen von vielen Unternehmen revidiert – ein stärkeres Bewusstsein für Arbeitsbedingungen, -leistung und Lebensqualität gewinnen.

Methoden, Modelle und Ansätze mit Bezug zu New Work

Die neue Art des Arbeitens zeichnet sich, gestützt durch mobile Endgeräte und nutzerfreundliche Anwendungen, deutlich im Arbeitsalltag ab. Arbeitsweisen passen sich veränderten Bedürfnissen an. Dabei geht es sowohl um Kollaboration, Austausch und fachliche Flexibilität der Arbeitnehmerseite als auch um gesteigerte Effizienz und Produktivität aus Sicht der Arbeitgeber. Die Entwicklungen lassen sich wie folgt kategorisieren:

  • Aufhebung der Ortsgebundenheit: Mobiles Arbeiten (Loslösung vom Arbeitsort), Homeoffice (Arbeiten am Lebensmittelpunkt) und Remote Work (Arbeit ohne räumlichen Bezugspunkt) sind Ausprägungen dezentraler Strukturen.
  • Ausgestaltung der Balance: Weicht die räumliche Trennung von Arbeits- und Lebensmittelpunkt auf, vermengen sich private und arbeitsbezogene Phasen. Die Balance kann zugunsten von Flexibilität und Zufriedenheit in die Verantwortung der Angestellten übergehen.
  • Mitbestimmung der Arbeitsorganisation: Lange verbreitet sind Gleit- und Vertrauensarbeitszeit mit Fokus auf Ergebnissen anstelle fester Arbeitszeiten. In Bezug auf operative Zuordnungen beweisen sich kompetenzbetont formierte Teams anstelle klassischer Bereichs- und Abteilungsstaffelungen.
  • Erneuerung der Arbeitsmethoden: Konzeptionell der Softwareentwicklung entsprungen setzt agiles Arbeiten auf Reaktionsfähigkeit und damit einhergehend höhere Erfolgschancen. Daneben entstehen vor allem in Start-ups immer neue Methodiken.
Zwei Ärztinnen und ein Arzt arbeiten im Ärztezimmer im Krankenhaus im Patientenportal.

Chancen im Krankenhaus und für Krankenhäuser

Die Herausforderungen der Gesundheitsversorger sind deckungsgleich: Erlössicherung und wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit, Prozessoptimierungen und digitale Transformation sowie der Fachkräftemangel. Die Gemeinsamkeiten legen übergreifende Antworten nahe. New Work kann eine dieser Antworten sein, denn der Gedanke sinnstiftender Arbeit zeichnet Ideologie und Branche gleichermaßen aus und ist ein starker Wettbewerbsfaktor in punkto Personal.

Das Grundgerüst der Neuen Arbeit wirkt im ersten Moment wenig vereinbar mit den klinischen Strukturen: In Pflege und medizinischer Versorgung kommt es auf zeitliche Verlässlichkeit, unumstößliche Pflichten und die zuverlässige Erfüllung hoher Ansprüche an. Dennoch finden sich Wege, New Work ins Krankenhaus zu übersetzen. Verbesserte Arbeitsbedingungen und die Attraktivität der Arbeit zahlen anschließend auf die Leistungsfähigkeit des Versorgers ein und kommen dadurch direkt und indirekt beim Patienten an. Adaptieren lässt sich die Ideologie auf das gesamte Krankenhaus – abteilungsspezifisch den jeweiligen Rahmenbedingungen und Anforderungen entsprechend.

In der Administration wird direkt auf bewährten Methodiken aufgebaut. Anders in den kontaktintensiven Bereichen der Medizin und Pflege: Können Patienten mündiger werden? Lässt sich die Anzahl an notwendigen Kontakten verringern? Wie steht es um die Zusammenarbeit der Professionen? Denn gerade die Pflege muss attraktiver werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken – durch bessere Organisation, höhere Motivation, längere Bindung und eine grundsätzliche Reduktion des Bedarfs.

Zwei Ärztinnen und ein Arzt im Krankenhaus besprechen sich über die Arbeitsorganisation.

New-Work-Ansätze erarbeiten

Gegenüber der Industrie befinden sich Krankenhäuser konzeptionell im Hintertreffen, können aus dieser Position heraus aber am Beispiel lernen und beachtliche Erfolge erzielen. Die Praxis zeigt, dass sich New-Work-Konzepte auch hier erfolgreich pilotieren und ausrollen lassen. Es kommt darauf an, Chancen zu erkennen und zügig in die Umsetzung zu kommen – auch die Umsetzung selbst kann sich an Erkenntnissen orientieren.

  • Mitarbeitende einbinden: Die Einbeziehung in Veränderungen sorgt für Akzeptanz der Neuerungen, die oft Kompromisse darstellen – auch bei der Erarbeitung neuer Arbeitsmethoden. Zudem wird Wissen über Herausforderungen, Maßnahmen und konkrete Verbesserungsvorschläge oft nur in den Köpfen vorgehalten.
  • Abläufe dokumentieren: Arbeitsabläufe können verbessert werden, wenn granulare Transparenz besteht. Häufig fehlen aber Prozessdokumentationen und individuelle Abläufe prägen den Arbeitsalltag – die planvolle Einführung neuer Arbeitsmethoden bedarf der Einigkeit darüber, was die bisherige Arbeit beinhaltet und ausmacht.
  • Abläufe analysieren: Durch die Analyse umfassender Dokumentationen lassen sich Potenziale in Abläufen identifizieren und Ansatzpunkte neuer Technologien und Arbeitsmethoden bestimmen. Am Ende steht ein spezifisches Zielbild von New Work, aus dem sich notwendige Regularien und Vereinbarungen, aber beispielsweise auch Anforderungen an die Standortgestaltung und räumliche Vernetzung ableiten lassen.
  • Technologieoffen betrachten: Digitalisierung und neue Technologien stehen für Optimierungschancen und sind Grundlage der Neuausprägung von New Work. Dennoch muss die Technologie der Arbeit folgen, umgekehrt, also Arbeitsweise folgt Technologie, wäre falsch.
  • Teamoffen gestalten: Die Neue Arbeit orientiert sich an den Fähigkeiten und Vorstellungen der Mitarbeitenden. Anstatt neue Abläufe in bestehende Teamstrukturen einzuprägen, sorgen bewusste Durchmengung für Effizienz und höhere Arbeitsqualität. Diverse Strukturen entstehen, die von sich aus leistungsfähiger und resilienter sind und technologische Entwicklungen schneller aufgreifen.

Das Patientenportal als Fundament der Zukunftsfähigkeit

Patienten fordern die aus anderen Lebensbereichen bekannten digitalen Angebote schon lange auch vom klinischen Sektor. Die althergebrachte direkte Interaktion mit Krankenhaus-Ressourcen wird durch digitale Patientenportale endlich obsolet: Versorger öffnen sich nach außen und bieten asynchrone Kontaktwege, unabhängig von der Präsenz der Beteiligten. Terminfindung, Daten- und Dokumentenaustausch, Initiierung und Handhabung von Vorgängen lassen sich erstmalig in einer auch für Patienten angenehmen Weise abbilden. Mitarbeitende profitieren gleichermaßen davon, denn die Ortsunabhängigkeit ist der Baustein, der in der Arbeitsorganisation bisher gefehlt hat – und in der Innensicht weit über den Patientenkontakt hinausgeht.

Gleicht man die New-Work-Ideologie mit den gesetzlich festgelegten technischen und organisatorischen Leistungsdimensionen des Patientenportals ab, lässt sich Übereinstimmung ausmachen. Der Arbeitsfokus verschiebt sich von bürokratischen Verwaltungsvorgängen hin zur Arbeit am Patienten. Das wirkt im Sinne selbstbestimmter Arbeit motivierend: Mitarbeitende erlangen mehr Einfluss auf die Balance ihrer Tätigkeiten, sind räumlich und zeitlich weniger gebunden, digitale Arbeit kann auch außerhalb des Krankenhauses erfolgen, administrative Vorgänge und die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten sind dank Portal ohne Bindung an einen Arbeitsort abbildbar. Auch aus Organisationssicht sind standortübergreifende Ressourcenbündelungen, beispielsweise Shared-Service-Centers, denkbar.

Eine Patientenaufnahme in einem Klinikum. Im Vordergrund arbeitet eine Ärztin an ihrem Computer im Patientenportal, im Hintergrund sieht man eine Patientin an der Anmeldung.

New Work und Patientenportale – jede Menge Chancen

Anwerbung, Ausbildung und die Bindung von Fachkräften sind für alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen vieldiskutierte Themen. Ein Ansatzpunkt: fachferne Abläufe – insbesondere in der Administration – vereinfachen und reduzieren, um personelle Ressourcen für Primäraufgaben am Patienten freizusetzen. Das Patientenportal ist Plattform dieser Optimierung und in der Nutzung Vehikel attraktiver Arbeitsgestaltung. Diese Attraktivität sorgt für eine stärkere Bindung und wirkt dem Abwandern enttäuschter Fachkräfte entgegen. Das Portal vermeidet gleichzeitig auch den mit Fluktuation einhergehenden Wissensverlust, denn Wissen und Methoden werden aus den Köpfen ins System überführt.

Die Tarifstrukturen von Kliniken und Krankenhäusern sind der freien Marktwirtschaft gegenüber häufig im Nachteil. Das verstärkt den ohnehin spürbaren Fachkräftemangel: Finanzielle Anreize sorgen für Abwanderung und Tätigkeitswechsel, nachweislich gerade im Bereich der Pflege. Zudem sind Spezialisten, deren Tätigkeit klinischen Abläufen originär fern ist, noch schwerer zu bekommen. Moderne Arbeitskonzepte, aufbauend auf den Möglichkeiten der Patientenportale, können hier deutlich Gewicht in die Waagschale werfen – der New-Work-Gedanke einer sinnstiftenden und daher erfüllenden Arbeit tritt in den Vordergrund.

Durch die portalgestützte teilweise Aufhebung der räumlichen und zeitlichen Gebundenheit der Arbeitnehmenden sind Konzeptionen des Neuen Arbeitens übertragbar: Arbeit kann ortsungebunden innerhalb der Klinikräume sowie allgemein mobil, im Homeoffice oder remote erfolgen. Die zeitliche Flexibilität ermöglicht eine Defragmentierung der Tätigkeiten in zusammenhängende Blöcke, und bestehende Prozesse lassen sich entlang der Sollbruchstelle der Patientennähe aufbrechen. Über einzelne Mitarbeitende hinausgedacht sind sowohl der geteilte Zugriff auf einzelne Ressourcen – ausgelastet über den lokalen Bedarf hinaus – als auch die Einrichtung von Shared-Service-Centers mit Angeboten für mehrere Versorgungspunkte oder sogar versorgerübergreifend möglich. Die Kompetenzbündelung steht dabei auch für Kompetenzsteigerung, da Aufgaben von Spezialisten anstelle von Generalisten erfüllt werden.