Digitale Lösungen für einen sinnvollen Pflegepersonaleinsatz
Im Gespräch mit Anke Franke, Geschäftsführerin der Evangelischen Diakonie Lindau e.V
Anke Franke ist sich sicher: Auf Dauer und flächendeckend für ganz Deutschland wird es nicht möglich sein, mit wenig Personal hervorragende Pflege zu leisten. Daher sollte auf zwei Fragestellungen fokussiert werden:
Ist es nicht möglich, Pflegebedürftigkeit zu verzögern und zu verhindern durch präventive Maßnahmen?
Und warum gibt es denn so wenig Pflegekräfte? Warum verlassen so viele Mitarbeiter nach einigen Jahren den Beruf? Warum werfen so viele Auszubildende das Handtuch?
Gute Einrichtungen haben keinen Personalmangel
Sie sieht aber auch, dass es durchaus Möglichkeiten und Strategien gibt: Die guten Einrichtungen machen es vor, sie haben keinen Personalmangel und haben diese Probleme in ihren Einrichtungen schon gelöst.
Sie selbst schafft in ihrem Team Anreize zur Personalbindung durch die Umsetzung von Lebensstil-Konzepten und der gesamtbetrieblichen Unternehmensphilosophie der Eden-Alternative, bei der alle Mitarbeitenden einbezogen werden und auf die Potentiale und Talente der Mitarbeitenden und Bewohner fokussiert wird und die defizitäre Betrachtung somit in den Hintergrund rückt. Dies führt gleichsam zu einem reicheren Arbeitsalltag und zufriedeneren Pflegekräften.
Investitionsstau in Pflegeeinrichtungen verhindert die Implementierung neuer Technologien
Die Pflege hängt ihrer Meinung nach bei der Digitalisierung noch sehr zurück. Viele Einrichtungen dokumentieren sogar noch auf Papier. Zudem verhindert ein hoher Investitionsstau in den Pflegeeinrichtung die Umsetzung vieler Technologien.
Großes Potential von digitalen Akten
Großes Potential sieht sie in der Digitalisierung von Gesundheitsakten und der digitalen Informationsweitergabe aus Krankenhäusern wie beispielsweise die Übermittlung von Entlassbögen an die Pflegeeinrichtungen:
„Wenn Bewohner mit ihren Angehörigen zum Arzt gehen, dann dauert es oft ewig, bis die Mitarbeiter die Informationen bekommen, was aus diesem Gespräch rausgekommen ist und der Angehörige ist ja oft nicht die Fachperson, die dort mitteln kann. Das heißt, es ist sehr mühsam an diese Informationen zu kommen, das wäre natürlich auf Knopfdruck eine tolle Sache, wenn das gelingen könnte, das umzusetzen.“
Digitale Lösungen für einen sinnvollen Personaleinsatz
Digitale Lösungen können dabei helfen, Personalressourcen sinnvoll einzusetzen, nämlich im 1:1-Kontakt am Menschen. Dazu wünscht sich Frau Franke, dass sich die Haltung jener ändert, die gerne über die schlechten Rahmenbedingungen schimpfen und jammern. Die vorhandenen Potentiale werden selten voll ausgenutzt. Auch der Ruf an die Politik nach mehr und ausländischen Arbeitskräften nützt nicht viel, wenn diese nicht in der Arbeitsstelle gehalten werden können.
Frau Franke fordert, dass die vorhanden finanziellen Mittel statt in immer wieder neue Expertenstandards und Kontrollgremien besser vermehrt in technologische Neuerungen in Pflegeeinrichtungen investiert werden.
Lesen Sie das ganze Interview:
Fr. Franke, Sie sind Geschäftsführerin der Evangelischen Diakonie in Lindau. Wie kann man bei mangelndem Pflegepersonal und einer steigenden Anzahl an Pflegebedürftigen, hochwertige Pflege gewährleisten und gute Arbeitsbedingungen schaffen?
Das natürlich sehr schwierig. Auf Dauer und flächendeckend für ganz Deutschland wird es nicht möglich sein, mit wenig Personal hervorragende Pflege zu leisten. Deswegen denke ich, dass man sich zwei Fragestellungen herauspicken muss. Die eine ist: Ist es nicht möglich, Pflegebedürftigkeit zu verzögern und zu verhindern durch präventive Maßnahmen? Ich glaube, da muss man noch sehr viel investieren. Der zweite Punkt ist der, dass man sich fragen muss, warum gibt es denn so wenig Pflegekräfte? Warum verlassen denn so viele Mitarbeiter nach einigen Jahren den Beruf? Warum werfen so viele Auszubildende das Handtuch. Da muss man angreifen, da gibt es sicherlich Möglichkeiten und Strategien. Die guten Einrichtungen machen es vor, dass sie eben keinen Personalbedarf haben und diese Probleme in ihren Einrichtungen schon gelöst haben.
Wie schaut das konkret in Ihrer Einrichtung aus, dass Sie Pflegekräften Anreize schaffen, sich bei Ihnen zu bewerben und auch langfristig bei Ihnen zu bleiben?
Wir arbeiten nach der Eden-Alternative – das ist eine gesamtbetriebliche Unternehmensphilosophie. Das heißt, nicht nur die Pflegenden kümmern sich um die Pflege-Bewohner, sondern die ganze Mitarbeiterschaft, sprich Verwaltung und Hausmeister, werden alle miteinbezogen. Dadurch ist das Teamdenken auch noch ganz anderes und jeder hat mit den Menschen dort zu tun. Dann schauen wir: Was haben die Menschen, die zu uns kommen und bei uns arbeiten, für Potenziale, für Talente. Diese können sie bei uns einbringen. Das heißt, Pflegekräfte leiten z. B. Sportgruppen, andere, die musikaffin sind, leiten Betreuungsangebote und lernen dann die Bewohner ganzheitlich kennen, also auf anderer Ebene, nicht nur von ihren Defiziten her betrachtet, sondern sie sehen, was sie noch können, was für Potenziale da sind. Sie haben gemeinsam Spaß. Dadurch gehen sie abends, so berichten sie es mir zumindest, nach Hause und sagen, sie hatten heute einen guten Tag. Und dadurch wird auch ihr Arbeitsleben viel reicher.
Welche Lösungsansätze verfolgen Sie, um auch in Zukunft diese gute Pflege leisten zu können und gute Arbeitsbedingungen für Ihr Personal zu schaffen?
Wir sind auf einem guten Weg. Wir werden diesen Eden-Weg natürlich fortsetzen. Wir arbeiten aber auch an neuen Projekten. So haben wir z.B. das Lebensstil-Konzept in unserer Einrichtung eingeführt. Die Sinusmilieus geben ein Lebensstil-Modell vor. Das heißt also, wir versuchen in unserer Einrichtung, Wohngruppen zu schaffen, kleine Wohngruppen, in denen Menschen zusammenleben, die auf einer Wellenlänge sind. Das heißt, die einen ähnlichen soziokulturellen Hintergrund haben, die ähnliche Werte, ähnliche Haltungen, ähnliche Interessen haben.
Das spiegelt sich in der Räumlichkeit wider, im Ambiente, wie die Wohngruppe gestaltet ist, aber auch in dem, wie der Tagesablauf gestaltet wird. Dadurch sind die Menschen viel zufriedener, sie sind auch nicht so stressbeladen und das hat natürlich auch positive Auswirkungen auf die Mitarbeitenden. Das heißt also, dort, das ist unsere Erwartung, wird der Krankenstand zurückgehen, die Fluktuation, die bei uns sowieso schon sehr niedrig ist, wird auf dem Level bleiben und wir werden auch die Räumlichkeiten in nächster Zeit anpassen, durch Umbaumaßnahmen, dass wir also unser altes herkömmliches Haus mit viel zu großen Wohngruppen in viele kleine Wohngruppen à max. 12 Bewohner umbauen.
Welchen Stellenwert messen Sie der Digitalisierung in Bezug auf die Pflege zu? Können digitale Lösungen das Pflegepersonal zusätzlich entlasten? Haben Sie auch konkrete Beispiele dazu, vielleicht sogar aus Ihrer Einrichtung?
Also Digitalisierung ist ja in aller Munde. Ich denke mal, das wird sicherlich Einzug halten. In der Pflege ist es aber so, dass sie meiner Meinung nach noch ziemlich zurückhängt. Es gibt noch einen großen Teil der Einrichtungen, die zum Beispiel noch auf dem Papier dokumentiert. Also bis diese Hürde nicht genommen ist, brauchen wir uns über die Fortschritte im Bereich der Digitalisierung noch nicht soweit zu unterhalten. Auch denke ich, dass erstmal bestimmte technische Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Ich denke, dass in den Pflegeheimen doch ein hoher Investitionsstau da ist.
Digitalisierung – ja auf jeden Fall: z. B. dass Krankenhausakten, wie der Entlassungsbogen, übermittelt werden könnte an die Einrichtungen. Wenn Bewohner mit ihren Angehörigen zum Arzt gehen, dann dauert es oft ewig, bis die Mitarbeiter die Informationen bekommen, was aus diesem Gespräch rausgekommen ist und der Angehörige ist ja oft nicht die Fachperson, die dort mitteln kann. Das heißt, es ist sehr mühsam an diese Informationen zu kommen, das wäre natürlich auf Knopfdruck eine tolle Sache, wenn das gelingen könnte, das umzusetzen.
Sie planen für die Zukunft in einem großen Projekt ja auch die Errichtung eines Demenzdorfes. Inwiefern planen Sie, dort digitale Lösungen einzusetzen? Haben Sie da schon konkrete Vorstellungen oder noch nicht?
Doch natürlich. Da geht es ja auch darum, Personal sinnvoll einzusetzen. Und der sinnvolle Einsatz ist am Menschen, in der Betreuung. Gerade demente Menschen brauchen viel 1:1-Kontakt, viel Aufmerksamkeit und dass man also diese Personalressourcen wirklich sinnvoll einsetzt, wäre es gut, wenn man auf technische Lösungen bauen könnte.
Und was sind die Veränderungen, die Sie sich persönlich für die Zukunft wünschen und wofür Sie sich ganz besonders einsetzen werden?
Ich würde gerne sehen, dass sich die Haltung vielfach verändert, dass man also nicht nur jammert und schimpft auf die schlechten Rahmenbedingungen, sondern, dass man schaut, welche Potenziale sind denn in den Pflegeeinrichtungen vorhanden seitens der Heimleitungen, Einrichtungsleitungen, Geschäftsführungen? Und dann erstmals versucht, diese auszuschöpfen, bevor der Ruf an die Politik nach mehr Personal und so geht.
Auch, dass man erst einmal feststellt, dass es nichts nützt, zum Beispiel ausländische Fachkräfte anzuwerben, wenn die Rahmenbedingungen hier in den Einrichtungen nicht optimal sind, denn dann werden diese uns nach einigen Jahren auch verlassen. Insofern wünsche ich mir auch, dass das Geld auch in die richtigen Projekte investiert wird. Denn ich habe so das Gefühl: immer noch ein Standard mehr, ein Expertenstandard und oft sind das so Sachen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Expertenstandard Demenz sagt z. B. viel in Beziehungspflege investieren. Ich meine, das müsste eigentlich für jeden Pfleger selbstverständlich sein. Da werden wieder Expertengruppen finanziert, wieder Kontrollgremien, die das in den Einrichtungen prüfen, statt diese Mittel z. B. in Investitionen reinzugeben, dass eben dieser technische Fortschritt auch in den Heimen Einzug halten kann.
Vielen Dank für das Gespräch.