Die Digitalisierung im Gesundheitswesen mit der digitalen Patientenakte als Herzstück

Ich sehe ganz klar die digitale Patientenakte als Herzstück, weil sie die Möglichkeit schafft, alle Informationen gebündelt zueinander zu bringen. Sie kann über räumliche Distanzen Brücken schlagen.

Maria Klein-Schmeink ist Mitglied des Deutschen Bundestages und gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie sieht die sichere Infrastruktur im Bereich des Gesundheitswesens als eine Voraussetzung dafür, dass die Potenziale der Digitalisierung tatsächlich genutzt werden können.

Die Patienten selbst sollten zum Treiber von Entwicklungen gemacht werden. Sie müssen der Souverän sein, in ihrem eigenen Interesse an einer guten Behandlung. Röntgenbilder müssen heute nicht mehr in einem Briefumschlag von Arzt zu Arzt getragen werden, das ist heute auch digital möglich. Das sollten die Patienten auch einfordern. Es muss zudem verhindert werden, dass Leistungserbringer nicht über den Kopf des Patienten hinweg kooperieren und Informationen austauschen.

Vernetzte, gut koordinierte und gut abgesprochene Behandlungspfade sind das Notwendige für die Zukunft. Es muss ermöglicht werden, dass Informationen so zusammengetragen werden, dass Heilmittelerbringer oder Physiotherapeuten auf die Patientenakte genauso zugreifen können, wie Klinik-, Haus- und Facharzt.

Wenn die elektronische Patientenakte jetzt nicht kommt, sagt Maria Klein Schmeink, dann werden Google und andere die Leistung erbringen und die Patienten selbst sich für andere Wege entscheiden. Es muss schnell etwas passieren und alle Gesundheitsberufe, insbesondere die Pflege, müssen einbezogen werden. Sie sieht die elektronische Patientenakte als Herzstück, denn sie schafft die Möglichkeit, alle Informationen gebündelt zueinander zu bringen, von räumlichen Distanzen trennen und letztendlich dadurch Brücken schlagend.

Das bisherige Festhalten an dem Konzept, dass der Versicherte selbst seine Patientenakte nicht einsehen kann, sondern in eine Arztpraxis gehen muss, um dann zusammen mit seinem Versichertenausweis und dem Heilberufeausweis des Arztes in der Praxis in seine Akte schauen zu können, bezeichnet Maria Klein-Schmeink als aberwitzige Vorstellung. Jetzt hat Jens Spahn das zumindest in Frage gestellt und will eine Smartphone-fähige App möglich machen.

Auf die Frage, ob sie noch an die Realisierung der elektronischen Gesundheitskarte glaubt, meint Maria Klein-Schmeink: „Also ich fürchte, dass wir das Datum 1.1.2019 nicht wirklich erreichen, wenn ich sehe, wo wir jetzt erst sind. Mit knapp 20.000, heißt es, angeschlossenen Praxen sind wir von der vollständigen Durchdringung noch weit entfernt. Eigentlich sollte zum 1.1.2019 auch der elektronische Medikationsplan stehen. Davon sehe ich bei Weitem gar nichts aufscheinen. Von daher hängen wir eigentlich ständig hinterher.“

Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Wenn wir über Digitalisierung im Gesundheitswesen sprechen, müssen verschiedene Patientenrechte beachtet werden: Datenschutz, Datenhoheit, aber auch eine optimale Versorgung sind Rechte der Patienten. Wie kann man die Patientenrechte schützen ohne die Digitalisierung auszubremsen?

Ich glaube, man muss das zusammendenken. Wir haben ganz grundsätzlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das muss genau so geachtet werden, wie die grundlegenden Patientenrechte. Auch da gilt ja: Niemand darf gegen seinen Willen behandelt werden. Jeder Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist, soweit das nicht im Einverständnis passiert, ja auch eine Körperverletzung. In diesem Zusammenhang muss man das einfach so sehen.

Ich glaube, sehr sehr lange Zeit hat man sich sehr stark nur darauf kapriziert, dass die Gesundheitskarte Informationen zum Versicherten enthält, aber man hat wenig darüber nachgedacht, dass die sichere Infrastruktur im Bereich des Gesundheitswesens eine Voraussetzung dafür ist, dass wir die Potenziale der Digitalisierung auch wirklich nutzen können – zugunsten des Patienten, das ist das eine und das andere ist, dass wir letztendlich die Patientinnen und Patienten zum Treiber von Entwicklungen machen müssen. Sie müssen der Souverän sein, weil sie selbst ein Interesse daran haben, gut behandelt zu werden. Viele können sich gar nicht vorstellen, dass es noch heute so ist, dass sie tatsächlich im Briefumschlag ein Röntgenbild von einem Arzt zum anderen tragen müssen. Sie sagen sich: Ist das heute nicht anders möglich? Und genau das spiegelt ja eigentlich das Interesse auch wider. Ich glaube, dass vernetzte, gut koordinierte und gut abgesprochene Behandlungspfade das Notwendige für die Zukunft sind.

Wenn wir uns ältere Menschen vorstellen, die einen komplexen Hilfe- und therapeutischen Bedarf haben, da ist es wichtig, dass man Informationen zusammentragen kann, dass beispielsweise der Heilmittelerbringer oder Physiotherapeut auf die Patientenakte genauso zugreifen kann, wie der Arzt, der Hausarzt, der Facharzt und genau das muss möglich werden. Da sind wir aber leider noch weit von entfernt. Wenn Herr Spahn davon redet, dass wir die Gesundheitskarte und den Zugang zu IT verbinden sollten mit dem Bürgerportal und dem elektronischen Ausweis, dann sage ich immer: Das ist noch lange hin. Hier ist die Frage: Wollen wir überhaupt, dass nicht nur der Bürger einen Zugang hat und gleichzeitig das Patienten-Portal ist? Ich würde das gerne trennen, denn es geht immer auch um unterschiedliche Zugangswege und Bedürfnisse. Jeder Patient und jeder Versicherte will sicher sein, dass seine sensiblen Daten für ihn bleiben und von ihm gesteuert werden. Er muss entscheiden können, wo liegen die Daten, wer darf darauf zugreifen und was soll da überhaupt stehen? Das muss er entscheiden können.

Sie haben von der elektronischen Gesundheitskarte gesprochen. Jetzt kann man sagen, dass in so vielen Jahren Pläne und Fristen nicht eingehalten wurden. Halten Sie Fristen und Sanktionen überhaupt noch für ein adäquates Mittel oder setzen Sie hier auf alternative Maßnahmen?

Ich glaube, jetzt haben wir den Zustand erreicht, wo auch die Letzten begriffen haben: Das muss jetzt kommen. Wenn es jetzt nicht kommt, dann werden Google und andere die Leistung erbringen und die Versicherten und überhaupt die Bürgerinnen und Bürger werden sich für andere Wege entscheiden. Deshalb ist es so wichtig, dass das jetzt passiert. Das hat die Ärzteschaft mittlerweile begriffen, die ja sehr lange dieses Projekt bekämpft hat. Die Krankenkassen sind abgegangen davon, dass sie höchste Kontrollbedürfnisse damit realisieren wollten. Ich glaube, da sind wir jetzt auf dem richtigen Weg. Nicht umsonst gehen die Krankenkassenfamilien mit einer eigenen elektronischen Patientenakte oder Gesundheitsakte, je nachdem wie sie es konzipiert haben, voran und das zeigt schon: Man will es nutzen. Die Ärzteschaft ist mit dabei. Ich wünsche mir, dass man endlich auch die anderen Gesundheitsberufe und die Pflege mit einbezieht. Es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, warum diese bisher aus allen Plänen ausgeschlossen sind. Da müssen wir vorankommen. Das haben wir gerade bei einem Podium diskutiert.

Wenn wir an Vernetzung, Datenaustausch und Kommunikation denken, welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung?

Ich sehe ganz klar die Patientenakte als Herzstück, weil sie die Möglichkeit schafft, alle Informationen gebündelt zueinander zu bringen und das auch ein Stückchen von räumlichen Distanzen trennen und letztendlich damit auch Brücken schlagen kann. Das ist insbesondere für den ländlichen Raum eine unglaubliche Chance, auch an die spezialfachärztlichen Entwicklungen, an Hochleistungsmedizin angebunden zu sein. So kann man diesen Brückenschlag sehr gut schaffen. Man kann so etwas wie Tele-Konsile möglich machen sowie Fall-Konferenzen, man kann beispielsweise viele der Kontrollfunktion, die häufig für einen Herzinfarkt-Erkrankten eine Rolle spielen, darüber unterstützen. Also da sind sehr große Potenziale vorhanden. Und die gilt es zu heben und zwar im Interesse von und mit dem Patienten.

Wo wünschen Sie sich besonders, dass eine Veränderung stattfindet bzw. wofür setzen Sie sich besonders ein?

Ich fand es richtig aberwitzig, dass es bis vor kurzem tatsächlich die Vorstellung war, dass man weiterhin an einem Konzept festhält, dass der Versicherte selbst in seine Patientenakte gar nicht reingucken kann oder in sein Patientenfach, sondern in eine Arztpraxis gehen muss, um dann zusammen mit seinem Versichertenausweis und dem Heilberufeausweis des Arztes in der Praxis in seine Akte reingucken zu können. Das ist natürlich aberwitzig. So kann man heute Dinge nicht mehr konzipieren. Ich habe im März noch nachgefragt, ob das immer noch die Leitidee der Bundesregierung ist. Damals ist das noch gesagt worden. Jetzt hat Jens Spahn das zumindest in Frage gestellt und will hier auch eine Smartphone-fähige Applikation möglich machen. Es geht ja immer nur darum, dass es freiwillige Anwendungen sind. Niemand wird gezwungen, so etwas zu tun. Es muss eine Möglichkeit sein, die da ist. Das ist ein Beispiel, das ich nennen würde. Mir ist auch ganz wichtig, dass alle Ansinnen wirklich weit weggewiesen werden, wo versucht wird, dass die Leistungserbringer miteinander quasi nur kooperieren und Informationen austauschen und das über den Kopf des Patienten hinweg. Das darf so nicht passieren.

Glauben Sie noch an die elektronische Gesundheitskarte? Wird das noch realisiert?

Also ich fürchte, dass wir das Datum 1.1.2019 nicht wirklich erreichen, wenn ich sehe, wo wir jetzt erst sind. Mit knapp 20.000, heißt es, angeschlossenen Praxen sind wir von der vollständigen Durchdringung noch weit entfernt. Das ist das eine, das andere ist: Eigentlich sollte zum 1.1.2019 auch der elektronische Medikationsplan stehen. Davon sehe ich bei Weitem gar nichts aufscheinen. Und so ähnlich verhält es ja mit dem eRezept und auch damit, dass wir das elektronische Patientenfach so ausgestaltet haben, dass der Impfpass und alle möglichen Dinge da auch mit rein können. Er muss ja auch erstmal elektronisch gemacht werden. All das sehe ich noch nicht. Von daher hängen wir eigentlich ständig hinterher.

Vielen Dank für das Gespräch.