Digitalisierung der Gesundheitsversorgung – Experten plädieren für mehr Pragmatismus
An welchen Stellen muss die Digitalisierung ansetzten, um Gesundheitsversorgung in Deutschland nachhaltig zu verbessern? Darüber diskutierten die Teilnehmer und Referenten vom 05.11.-06.11 auf der Health – The Digital Leaders Veranstaltung des Handelsblattes in Berlin.

Trotz einer Vielzahl an Möglichkeiten und Anbietern hapert es im deutschen Gesundheitswesen immer noch an der konkreten Umsetzung von neuen Technologien. Während viele andere Länder neue digitale Lösungen bereits erfolgreich in die Gesundheitsversorgung integriert haben, kämpft das deutsche Gesundheitswesen mit fehlenden Infrastrukturen, komplizierten Zulassungsverfahren und einer hohen Regulierungsdichte.
So läuft insbesondere die sektorenübergreifende Kommunikation und Vernetzung von unterschiedlichen Leistungserbringern immer noch schleppend. Gleichzeitig werden sowohl im stationären als auch im ambulanten Sektor immer mehr Datenmassen produziert, deren Verwaltung, Dokumentation und Auswertung zunehmend eine Herkulesaufgabe für Ärzte und klinisches Personal darstellen. „Die Herausforderung des Information Overkill ist es, die richtigen Daten zum richtigen Zeitpunkt für die richtigen Personen bereitzustellen“, so Prof. Dr. Wehkamp, Geschäftsführender Oberarzt für Innere Medizin, Universitätsklinik Schleswig-Holstein. Um dies zu gewährleisten, sei es unabdingbar, Prozesse in den Kliniken digital abzubilden und ein digitales Wissensmanagement aufzubauen. Nur durch dieses Vorgehen können einzelne Informationsbausteine, beispielsweise in Form von Befunddaten, zusammengesetzt werden. Gleichzeitig können durch Digitalisierung Rollen, Personal und die Behandlungspfade der Patienten besser koordiniert und entlastet werden.
Digitale Transformation beginnt vor Künstlicher Intelligenz!
Um die vollen Potenziale für ein effizientes und individualisiertes Gesundheitssystem auszuschöpfen, ist eine umfangreiche Integration und Auswertung der heterogenen Daten unerlässlich. Prof. Dr. Hallek, Direktor Klinik für Innere Medizin und Centrum für integrierte Onkologie Köln, betont jedoch, dass KI-basierte Verfahren und Auswertungsmethoden oft noch nicht ausgereift sind, um verlässliche Interpretationen zu liefern. Vielmehr müsse Digitalisierung zunächst dazu beitragen, funktionierende Netzwerke und Plattformen aufzubauen, die zu einer erfolgreichen Kooperation und zu einem umfassenden Datenaustausch zwischen den Stakeholdern beitragen: „Es wird zunächst darauf ankommen, die datentechnischen Autobahnen, den intersektoralen Datentransport zu stärken.“ Erst im nächsten Schritt müsse man sich der Frage stellen, wie aus den riesigen Datenmengen Wissen generiert und die richtigen Schlüsse gezogen werden können.

Auch Dr. Messemer, Partner Mc Kinsey & Company, plädiert für mehr Pragmatismus bei der Umsetzung konkreter Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen: „Die Kugel der Weisheit gibt es nicht. Die eigentliche Frage ist, warum tun wir Dinge? Wir sehen bei vielen Krankenhausgruppen, bei vielen Leistungsanbietern viele gute Projekte, die helfen Personal zu entlasten, was in diesen Zeiten ein ganz wichtiges Thema ist und einen unmittelbaren Nutzen in der Praxis vermittelt.“ Alle digitalen Lösungen, die zu einer effizienteren Dokumentation und Prozessoptimierung führen, können dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen für klinisches Personal und die Versorgung der Patienten zu verbessern. Gleichzeitig sollte das Personal möglichst umfassend einbezogen werden bei der Identifizierung von Optimierungs- und Digitalisierungspotenzial. „Es hört sich vielleicht sehr banal an, aber wir müssen mit Projekten anfangen, die uns zunächst dabei helfen den Alltag zu erleichtern. Dabei muss der konkrete Nutzen der Projekte immer wieder hinterfragt werden“, so Messemer.