Digitalisierung im Gesundheitswesen in einem frühen Stadium

Lesen Sie mehr von Jürgen Flemming, Pressereferent, Bundesverbands der Krankenhaus-IT Leiter, im Interview über Verbesserungen der digitalen Gesundheit.

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist noch immer in einem sehr frühen Stadium. Vor allem in Krankenhäusern leidet sie an verschiedenen Stellen. Zum einen gibt es ein Defizit bei der Finanzierung von ca 1,5 Milliarden Euro. Zum anderen ist es wichtig, dass Krankenhäuser den Mut haben, kleine Schritte zu machen und das Risiko eingehen, zu scheitern. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, neue digitale Lösungen, die noch nicht als medizinisches Produkt zugelassen wurden, in einer kontrollierten Umgebung zu testen. Wenn Daten, die gewonnen werden, strukturiert abgespeichert werden und über Schnittstellen auch den anderen Systemen zur Verfügung gestellt werden können, sind wir in Richtung Interoperabilität und der Nutzung der digital gewonnenen Daten schon ein ganzes Stück weiter. Ein massiver Stolperstein bei der Interoperabilität der Systeme ist die Produktpolitik der KIS-Hersteller. Sie bauen teilweise ihre Systeme sehr monolithisch auf. Wenn ein Hersteller alle Prozesse abdecken möchte, man dann aber ein System anbinden muss, ist dies entweder nicht möglich oder man muss horrende Lizenzgebühren zahlen.

Ein konstruktiver Austausch von Daten zwischen Patient und Krankenhaus ist heute noch nicht wirklich erkennbar. Das liegt zum einen daran, dass die wenigsten Krankenhäuser eine elektronische Patientenakte führen und noch viele auf Papier dokumentieren. Patienten, die ihre durch Apps generierten Gesundheitsdaten in den Diagnoseprozess im Krankenhaus miteinbringen möchten, werden es schwierig haben, da die meisten Fitness-Tracker und Apps keine medizinische Zulassung und noch nicht die notwendige Verlässlichkeit haben.

Es besteht Einigkeit, dass die Bereitstellung und der Austausch von Daten ein zentraler Punkt in Fragen der Digitalisierung ist. Um Veränderungen herbeizuführen, sollte auf Bundesebene eine eHealth-Strategie geschaffen werden. Wir brauchen eine Kultur der Änderungsbereitschaft und sollten die Ängste der Betroffenen bestenfalls ummünzen in Begeisterung und aus Betroffenen Unterstützer machen.

POLAVIS im Gespräch mit Jürgen Flemming, Pressereferent des Bundesverbands der Krankenhaus-IT Leiterinnen und Leiter

Herr Flemming, schön dass Sie Zeit für uns finden. Stellen Sie sich doch bitte kurz vor.

Ja, mein Name ist Jürgen Fläming ich bin Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes der Krankenhaus IT-Leiter und sitze hier im Kongress Beirat bei der DMEA und arbeite seit jetzt insgesamt etwas über zehn Jahren im Krankenhaus Bereich und habe vorher die Chance gehabt in sehr unterschiedlichen Industrien, Retailbanking, Einzelhandel usw. Erfahrungen zu sammeln.

Ich bin natürlich sehr interessiert an ihrer Erfahrung im Hinblick auf die derzeitige Digitalisierung im Gesundheitswesen. Welchen Herausforderungen, Potenzialen und Erfolgen begegnen sie in Ihrem Alltag?

Ich würde es erstmal ein bisschen allgemeiner fassen. Digitalisierung im Gesundheitswesen vor allem im Krankenhaus ist momentan noch in einem sehr frühen, ich möchte fast sagen, desaströsen Zustand. Digitalisierung leidet momentan, gerade im Krankenhaus, unter verschiedenen Punkten. Dazu gehört einerseits eine starke Unterfinanzierung, dessen was hier eigentlich investiert werden muss. In einer Studie die vom Krankenhaus IT-Leiter Verband durchgeführt wurde, wurde festgestellt, dass momentan ein Defizit in der Finanzierung besteht von circa eineinhalb Milliarden Euro, nur um überhaupt erst mal das grundsätzliche Defizite aufzuholen und das pro Jahr, dann auch noch erhebliche weitere Mittel notwendig sind um die eigentlich notwendige Weiterentwicklung auch tatsächlich durchführen zu können. Was wir heute Vormittag in der Session relativ deutlich herausarbeiten konnten war, dass für das Thema Digitalisierung auch im Krankenhaus es notwendig ist mal den Mut zu haben auch kleine Schritte zu machen, auch das Risiko einzugehen, dass man scheitert. Das es auch für Krankenhäuser aber auch für kleine Anbieter möglich sein müsste mal auf eine App aufzusteigen, die noch nicht als Medizin-Produkt zugelassen ist ohne, dass man gleich in den Knast kommt. Und, dass man das Ganze auch in so einer Art kontrollierten Umgebung macht. Das heißt, dass man ein klassisches Risiko Management betreibt, dass man sich im Vorfeld überlegt was kann alles schief gehen, dass man gegen Maßnahmen ergreift und vor allem, dass man so einen Ablauf dann entsprechend überwacht. Wenn Daten die im Rahmen eines solchen Vorhabens oder generell im Krankenhaus gewonnen werden dann auch tatsächlich strukturiert abgespeichert werden und über entsprechende Schnittstellen auch den jeweiligen anderen Systemen zur Verfügung gestellt werden können, dann sind wir in Richtung Interoperabilität und damit Nutzung dieser digital gewonnenen Daten schon ein ganzes Stück weiter. Damit haben wir noch keine digitale Welt vor allem kein Krankenhaus aber wir haben zumindest mal eine Basis geschaffen, von der aus Entwicklung tatsächlich weiter gehen könnte.

Wo sehen Sie momentan die Stolpersteine, Barrieren und Herausforderungen bezüglich der Schnittstellen und Interoperabilität der Daten?

Also ein massiver Stolperstein ist natürlich die Produkt Politik, vor allen Dingen von den Herstellern der Krankenhaus Informationssysteme, die zumindest teilweise ihre Systeme wirklich sehr monolithisch aufbauen. Das ist dann ein Anbieter, der versucht den gesamten Prozess in allen Aspekten abzubilden und wenn man dann ein System anbinden muss ist es entweder gar nicht möglich oder man muss horrende Lizenzgebühren bezahlen. Wenn man sich überlegt für die Anbindung eines Ultraschall Gerätes 5000 Euro oder auch mehr an den Lieferanten des Krankenhaus Informationssystems zu bezahlen und den gleichen Betrag noch mal an den Lieferanten des Ultraschall Gerätes, dann ist relativ schnell klar, dass eine vollständige Digitalisierung allein des Bereichs Ultraschall im Krankenhaus eigentlich schwer möglich ist wenn ich in einem größeren Haus zwischen 1500 Geräte im Einsatz habe.

Gibt es aus patientenperspektive mehr Nachfrage und mehr Anwender mobiler Apps? Zum Beispiel kommen die Patienten mit mobilen Apps ins Krankenhaus und fragen nach ob sie die Daten nicht direkt aus den elektronischen Patientenakten ins KIS übernehmen können. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Die Patienten kommen jetzt zumindest nach meiner Kenntnis eher selten und fragen ganz konkret nach den Daten Ihrer elektronischen Patientenakte. Das liegt aber auch daran, dass in den wenigsten deutschen Krankenhäusern tatsächlich ein echter elektronischer Patient geführt wird. Es sind meistens einige Unterlagen elektronisch. Dazu gehören heutzutage vor allen Dingen natürlich die Röntgen Bilder. Das ist eigentlich Standard. Darüberhinausgehend administrative Unterlagen sind oft auch nur in einer Papier Akte vorhanden und weitere Unterlagen eben entsprechend auch, je nach Fall, je nach Haus mal Papier mal elektronisch. Das heißt für die durchgängige elektronische Patientenakte im Krankenhaus finden sie relativ selten. Trotzdem kommt es natürlich vor, dass Patienten im Krankenhaus ankommen und ihre persönlichen Gesundheitsdaten, die sie mit ihrer Gesundheits App, mit ihren Fitness Treckern oder sonstiger Sensorik gewonnen haben, dass sie versuchen diese Daten auch im Krankenhaus in den Behandlungsprozess einzubringen, vor allen Dingen den diagnostischen Prozess. Meine persönliche Schätzung ist aber eher eine Spekulation, ich schätze mal in circa 90 bis 95 Prozent der Fälle werden diese Daten nicht berücksichtigt und eine entsprechende Aufwendige neue Untersuchung wird durchgeführt. Das hat natürlich auch seinen Grund. Wenn der Patient zum Beispiel mit einer Apple Watch kommt und sagt mein Apple Watch sagt mir ich habe hier eine Herzrhythmusstörung und der Kardiologie im Krankenhaus sagte, schön dass ihre Apple Watch das sagt, aber das sollte man schon mal etwas genauer anschauen, welche Art von Herzrhythmusstörung ist es, dann kann ich das gut nachvollziehen. Eine Apple Watch ist zumindest in Deutschland noch kein Medizin Produkt und kann nicht so genau analysieren, dass der Kardiologe tatsächlich genau sagen kann was los ist. Aber wenn es möglich ist über eine App Blutzucker einfach mehr oder weniger automatisiert zu messen und dann entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Dann ist nicht einzusehen warum das nicht funktionieren soll. Hier leiden wir auch mal wieder unter dem Thema Schnittstelle. Das heißt wir haben Praxis Systeme von niedergelassenen Diabetologen, wir haben Krankenhaus Informationssysteme vom Krankenhaus Diabetologen und in aller Regel können die nicht wirklich miteinander reden. Das ist wieder ein weiterer Punkt wo man anfängt als Krankenhaus IT und generell als Krankenhaus natürlich ein unübersichtlichen Zoo an unterschiedlichsten Anwendungen zu füttern, nur um die Deltas oder die Unfähigkeit von manchen Anwendungen wiederum auszugleichen.

Und wie kann man ihrer Meinung nach diese Insellösung vermeiden?

Indem man ganz klar die Interoperabilität der Systeme verbindlich vorschreibt. Indem zum Beispiel bei Ausschreibungen von Krankenhäusern oder Krankenhausverbünden für neue Systeme grundsätzlich Interoperabilität gefordert wird, und zwar zumindest nach momentanem Stand auch überwiegend auf Ebene der HL7 Schnittstellen Standardisierung mit Fire.

Und abschließend eine Frage. Was liegt ihnen ganz persönlich gerade am Herzen in Richtung eHealth? 

Was mir persönlich sehr am Herzen liegt im Bereich eHealth, dass wir schlicht und einfach mal auf Bundesebene es schaffen zu einer vernünftigen eHealth Strategie zu kommen. Wir haben keine einheitliche Strategie, wir haben keine einheitliche Vorgehensweise. Wir sind uns immerhin dahingehend einig über eine relativ breite Front an Institutionen und Organisationen, dass die Bereitstellung von Daten und der Austausch von Daten ein ganz wesentliches Element des eHealth sein muss. Wir akzeptieren langsam das es Start-Ups gibt die neue Anwendung entwickeln neue Apps entwickeln und tatsächlich auch dann mal im Markt bringen und ausprobieren, aber wir fördern das nicht. Wir haben auch keine Kultur der Änderungsbereitschaft, also diese Change Readiness die wir ansonsten bräuchten. Die finden wir in unserer deutschen Landschaft einfach nicht und da müssen wir dringend hin. Was aber auch wieder bedeutet wir müssen uns tatsächlich mal damit auseinandersetzen, dass eHealth, dass Digitalisierung im Gesundheitswesen, massive Veränderungen bedeutet. Und wo finden diese Veränderungen statt, warum sind die sinnvoll und wie kann man dann auch die Ängste der davon betroffenen Leute im Zweifel auffangen. Wie können wir die auch vielleicht in Begeisterung ummünzen und aus Betroffenen Unterstützer machen.