Interviewserie – Das digitale Krankenhaus der Zukunft
COVID-19, neue Regularien des Gesetzgebers und Digitalisierungsdruck – die Rahmenbedingungen unter denen Krankenhäuser Versorgungssicherheit gewährleisten müssen, ändern sich aktuell disruptiv. Der gesteigerte Versorgungsbedarf und sich ändernde gesellschaftliche Anforderungen treffen auf schwindende Ressourcen. Krankenhäuser befinden sich im Konflikt zwischen der Lösung von akuten (finanziellen und strukturellen) Problemen und der langfristigen Sicherung von Markenattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Wie gelingt den Häusern die Transformation in eine zukunftsfähige Versorgungswelt? Welche Megatrends und Geschäftsmodelle werden sich durchsetzen? Oliver Zimmer, kaufmännischer Geschäftsführer, Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen, im Interview mit POLAVIS.
Im Interview: Oliver Zimmer, kaufmännischer Geschäftsführer, Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen
Der Druck zur Digitalisierung der Krankenhäuser steigt. Wieviel Gestaltungsspielraum und Zeit bleibt aktuell für innovative Projekte?
Allgemein und aktuell steht immer zu wenig Zeit für innovative, digitale Projekte zur Verfügung. Bei uns besteht die besondere Situation, dass wir uns abgesehen von COVID-19 zusätzlich in massiven Umstrukturierungsprozessen befinden. Trotzdem bringen wir die Digitalisierungsthemen voran, aber für wirklich innovative Projekte bleibt eindeutig zu wenig Zeit. Das liegt auch daran, dass die Manpower für diese Themen nur begrenzt zur Verfügung steht und eine Abwägung zwischen Tagesgeschäft und Innovation notwendig ist. In den medizinischen Bereichen steht z.B. daher pandemiebedingt zunächst die Versorgung der Patienten im Vordergrund.
Wie sollten digitale Lösungen eingesetzt werden, um Patientenbedürfnisse und Mitarbeiterentlastung gleichermaßen zu stärken?
Wir haben schon vor einiger Zeit eine Digitalisierungsstrategie verbunden mit Digitalisierungsgrundsätze in unserer Digitalisierungsgruppe entwickelt.
Unser Fokus liegt dabei auf einem guten Gleichgewicht zwischen Patienten- und Mitarbeiterthemen. Da besteht nicht immer Deckungsgleichheit, denn es gibt z.B. durchaus Themen, bei denen eher der Patient als der Mitarbeiter einen Benefit spürt.
In Bezug auf Patienten legen wir den Fokus primär auf Sicherheit, aber auch Komfort und Vereinfachung. Ein Teil der Patienten zeigen gegenüber Digitalisierung auch Skepsis, dort ist es wichtig die Themen in den Mittelpunkt zu stellen die alle Patienten aber uneingeschränkt haben wollen – wie eben Sicherheit und Klarheit. Also ist es immer auch mit Aufklärungsarbeit verbunden dem Patienten zu vermitteln, dass alle Systeme z.B. mehrfach redundant gesichert und geprüft sind. Oder ein anderes Beispiel: Wenn man dem Patienten erklärt, dass der Anmeldeprozess digitalisiert ist, inklusive einer dazugehörigen App mit der Informationen zum Aufenthalt abgerufen werden können, dann ist das ein enormer Vorteil, den die Patienten gerne annehmen – zumal diese Themen ja auch aus anderen Bereichen bekannt sind.
Bei den Mitarbeitern geht es eigentlich fast immer um das große Thema Bürokratieabbau, Prozessvereinfachung und auch schon um Automatisierung: Ziel der Digitalisierung soll und muss daher sein, alles das, was in den letzten dreißig Jahren an bürokratischem Overload in das Gesundheitswesen reingesteckt wurde wieder Stück für Stück dort zu entfernen bzw. in den Hintergrund treten zu lassen. Selbst wenn wir nur einen gewissen Prozentsatz eliminiert bekommen, dann empfinden das die Mitarbeiter als extreme Entlastung und auch als einen Erfolg der Digitalisierung. Der größte Benefit entsteht dort, wo die Mitarbeiter jeden Tag merken, dass mehrere analoge Prozessschritte verschwunden sind und sichtbar nur noch das eigentlich gewünschte Ergebnis schneller und gesicherter zur Verfügung steht. Dann haben alle alles richtig gemacht.
Müssen sich Arbeitsmodelle und Prozesse in den Kliniken für alle Dienstarten grundsätzlich ändern, um die Versorgungsleistung in Zukunft überhaupt noch erbringen zu können?
Wir werden ohne eine Veränderung der Arbeitsmodelle und Prozesse die Herausforderungen für die Versorgungssituation meiner Meinung nach nicht bewältigen können. Bevor sich die Arbeitsmodelle aber in Gänze ändern geht es zunächst um die Prozesse. Es ist ja schon fast eine Binsenweisheit, dass kein analoger Prozess automatisch ein guter digitaler Prozess ist, nur weil wir ihn umgewandelt haben. Deswegen haben wir den Grundsatz, dass wir uns die Prozesse wirklich genau anschauen und nicht einfach vom Analogen zum Digitalen überführen. Über die Prozesse entstehen dann auch Auswirkungen auf die Arbeitsmodelle. Veränderte Arbeitsmodelle sind dann auch ein Stück weit eine Folge von veränderten Prozessen.
Die Leistungserbringer fokussieren sich weiter, um wirtschaftlich zu arbeiten. Welche Netzwerk- und Interaktionsformen sichern den Erfolg einer guten Zusammenarbeit und Kommunikation – digital wie analog?
Als Maximalversorger sind wir z.B. mit den großen und komplexen medizinischen Fragestellungen und Themen konfrontiert, in der Onkologie wird das besonders anschaulich. Wir sind in der Situation, dass Expertenwissen aus unserem Haus stark nachgefragt wird.
Wir müssen z.B. auch sicherstellen, das Expertenwissen dorthin gelangt, wo aktuell vielleicht noch Ressourcen vorgehalten werden, in den nächsten fünf bis zehn Jahren aber nicht mehr angeboten werden können.
Letztlich hängt das natürlich auch damit zusammen, dass wir die benötigte Anzahl von Experten nicht mehr an allen Orten vorhalten können, sondern wir wissen, dass es in manchen Regionen schon schwierig ist, auch andere Fachkräfte aus der Pflege oder Therapeuten vor Ort zu halten. Am Ende werden wir eine Situation haben, wo alle um das Personal konkurrieren – und damit auch die Gefahren von Fehlallokationen entstehen und zunehmen.
Ich stelle mir vor, dass gerade diese Netzwerkaktivitäten, ein Zusammenbringen von Experten auch über das genannte Beispiel der Onkologie hinaus, mit digitalen Lösungen besser funktionieren und wir diesbezüglich eine viel offenere Diskussion bekommen werden. Und diese Diskussion geht weit über Video-Sprechstunden hinaus, sondern wird auch vor Diagnose und Therapie nicht Halt machen. Wenn man – so wie wir – in einer eher ländlichen Region Spitzenmedizin eines Maximalversorgers anbietet, dann ist dieses Thema für uns bereits heute eines der strategisch bedeutsamen Herausforderungen, und da kann und muss die Digitalisierung auch einen Beitrag leisten.
Wir wissen doch, dass wir in absehbarer Zeit nicht mehr alle Experten überall vorhalten können und die Infrastruktur darunter auch brüchig wird. Es wird zudem zunehmend schwieriger werden Fachkräfte zu bekommen, um Pflege und weitere Angebote zu realisieren. Wenn dann die Möglichkeiten der Digitalisierung nicht genutzt werden, wird sich das massiv auf die Versorgungslandschaft auswirken. Dann könnten Situationen entstehen, in denen hunderte Kilometer zwischen Leistungsanbietern klaffen. Also braucht es auch eine Möglichkeit, kleinere durch größere Häuser unterstützen zu lassen und das mit allen digitalen Möglichkeiten, die man andenken kann.
Welche Digitalisierungsthemen werden in den nächsten 3-5 Jahre die größten Auswirkungen auf das Gesundheitswesen im Allgemeinen und die Kliniken im Besonderen haben?
Das KHZG ist in den nächsten Jahren unsere Agenda und gibt den Takt vor – von daher werden alle Lösungen die momentan das KHZG vorgibt auch die Entwicklung im Gesundheitswesen bestimmen. Bei der Menge an Themen, die aufgelegt werden und dem dahinterstehenden Zeitfenster, bleibt auch kaum Luft für andere Themen. Wir haben unsere Anträge so gestaltet, dass sie unseren Priorisierungen und den Themen, die uns schon vorher wichtig waren, entsprechen. Das ist die Richtung, in die es die nächsten Jahre gehen wird.