Transformation als Grundlage für nachhaltigen Erfolg
Das Krankenhaus als Versorger für Gesundheitsdienstleistungen ist keine altruistische Organisationseinheit, die sich ausschließlich des Wohls und der Gesundheit ihrer Patienten unterwirft. Ein Krankenhaus ist – auch von außen auferlegt – ein Wirtschaftsunternehmen, das vor gleichen Herausforderungen steht wie Unternehmungen aus der Industrie: die Sicherstellung des aktuellen und zukünftigen wirtschaftlichen Erfolgs. Wir haben mit Eckhard Remich, Organisationsentwickler und ausgewiesenem Experten für Strategieimplementierung in der Medizintechnik, über die Frage gesprochen, wie weit der klinische Sektor diese Transformation hin zur Wirtschaftlichkeit schon vollzogen hat und welche Rolle die Digitalisierung dabei spielt.
Wertschöpfung im Krankenhaus
Um sich mit dem Stellenwert der Transformation auseinanderzusetzen, gilt es, das Krankenhaus zunächst als eine Vielzahl an heterogenen Gruppen mit ganz unterschiedlichen Aufgaben und Motivationen zu begreifen. Blickt man beispielsweise durch die Brille der Medizintechnik, dann sind neben ärztlichen Anwendern von medizinischen Geräten und solchen aus der Pflege auch Medizintechniker involviert, die den Betrieb eingesetzter Geräte sicherstellen. Hinzukommen IT-Fachleute, die sich mit der Einbindung von Medizintechnik in Krankenhaus-Informationssysteme beschäftigen. Risikomanager bewerten neue Geräte im Gesamtkontext und Spezialisten wie Hygieniker betrachten einzelne Aspekte der Anwendung und Aufbereitung. Außerdem haben Krankenhäuser eine Einkaufsfunktion, die entsprechende Prozesse anstößt.
„Das Ziel einer Beschaffung orientiert sich immer mehr an der Optimierung der Wertschöpfungsprozesse des Krankenhauses. Ich erlebe inzwischen ein breites Spektrum unterschiedlicher Professionen, die sich in Kaufentscheidungen einbringen. Das spiegelt die Transformation wider, in der sich Krankenhäuser aktuell befinden. Die Zukunftsfähigkeit des Krankenhauses muss durch Wertschöpfung dauerhaft sichergestellt werden. Das betrifft in unterschiedlichem Maße tatsächlich alle Prozesse eines Krankenhauses. Durch die Art und Weise der Vergütung werden Krankenhäuser Wirtschaftsunternehmen ähnlich. Behandlungskosten zu optimieren und die eigenen Mitarbeiter optimal einzusetzen, ist schon lange ein Thema. Gute Fachkräfte zu bekommen und zu halten, ist ein anderes. Die Kundenerfahrung, also hier: die Patientenerfahrung, ist wichtig. Und aus meiner Sicht ins Blickfeld gerückt ist die Nachhaltigkeit. Krankenhäuser müssen sich grundsätzlich anpassen, um wertschöpfend zu arbeiten“, skizziert Eckhard Remich die Herausforderungen. „Wie wird sich die Demographie der Patienten verändern? Welche Krankheitsbilder werden morgen überwiegen? Wie können Abläufe im Krankenhaus standardisiert und optimiert werden? Und welchen Beitrag leistet die Digitalisierung bei der Lösung? Das sind Fragen, die noch beantwortet werden müssen.“
Erfahrung und Erleben rücken in den Mittelpunkt
„Menschen gehen mit der Hoffnung in ein Krankenhaus, dass es ihnen dadurch besser geht. Das ist aber nicht immer der Fall. Häufig kämpfen Mediziner zunächst darum, dass sich der Zustand ihrer Patienten nicht verschlechtert. Es braucht eine Basis für den Genesungsprozess“, antwortet der Transformationsexperte auf die Frage nach der Bedeutung der Patientenerfahrung. „Dennoch drängt sich in der Beziehung Patient und Krankenhaus der Vergleich mit der Hotellerie immer mehr auf. Patienten wollen im Krankenhaus gut aufgenommen werden. Sie suchen Verständnis ob der eigenen Situation, beispielsweise ihrer Schmerzmedikation. Das Essen soll schmecken und sie wollen nachts gut schlafen können, um die Genesung zu unterstützen. Daher sollten alle Prozesse in erster Linie auf die Patienten ausgerichtet sein.“
Krankenhäuser und Industrieunternehmen sind hier sehr nahe beieinander, letztere setzen gleichermaßen auf Kundennähe und richten sich nach ihren Kunden aus. „Vor 20 Jahren waren technische Innovation und Funktionalität bei Medizingeräten ausschlaggebend“, blickt Eckhard Remich auf seine Erfahrungen aus der Branche. „Heute müssen Anbieter zunächst verstehen, was die einzelnen Zielgruppen im Krankenhaus als Innovation wahrnehmen, was ihnen hilft, ihre Probleme zu lösen. Anwender suchen nicht noch mehr Funktionen, sondern Simplifikation und mehr Sicherheit bei der Anwendung. Braucht es im Interface zwischen Menschen und Maschine 27 Parameter mit einzelnen Alarmen oder reicht eine vereinfachte Zusammenfassung? IT-Experten achten auf die einfache Integration in die Infrastruktur. Funktionierende Schnittstellen, verlässliche und regelmäßige Software-Updates und mögliche Fernwartung sind relevant.“
Das Krankenhaus der Zukunft braucht Meilensteine
Das Krankenhauszukunftsgesetz schiebt die Digitalisierung der Kliniklandschaft deutlich an. Dennoch steht der Begriff Digitalisierung für einen endlosen Prozess, der immer weiter voranschreiten wird. Diese Transformation ist aber keine rein technische. Als Experte für Strategieimplementierung zitiert Eckhard Remich Peter Drucker: „Culture eats strategy for breakfast. Man kann nur gemeinsam mit den Menschen eine Organisation erfolgreich transformieren. Versteht der Mensch nicht, wofür etwas geschieht, wird es nicht funktionieren. Viel zu häufig wird nur beschrieben, was sich ändern soll, aber eben nicht, wofür die Veränderungen benötigt werden. Die Menschen werden nicht ausreichend involviert. Es bedarf einer gemeinsamen Vision und es bedarf Zwischenschritten, die erkennen lassen, dass man auf dem richtigen Weg ist.“ Remich selbst kennt sich mit Transformation und Digitalisierung aufgrund seiner vielfältigen Tätigkeit in der Industrie sehr gut aus. „Transformation muss von oben herunter vorgelebt werden. Menschen müssen erleben, bevor sie erkennen: Das hat etwas mit mir zu tun – ich habe durch die Veränderungen mehr Zeit für meine Patienten, oder die Veränderungen tragen dazu bei, dass meine Patienten schneller diagnostiziert werden, schneller gesünder werden. Die Führung im Krankenhaus muss für die einzelnen Gruppen in der Organisation definieren und formulieren, welche Vorteile bestehen. Sie muss sich mit der Frage auseinandersetzen: Wo wollen wir gemeinsam hin? Denn wer keine Richtung hat, der steuert nirgendwo hin und kann auch niemanden mitnehmen.“
Transformation braucht Führungskompetenzen
„In der Realität wird die Rolle der Führung als Vorbildfunktion zumeist unterschätzt. Wenn Führungskräfte gewünschte Veränderungen nicht vorleben, dann passiert auf Ebene der Mitarbeitenden auch nichts. Gerade Krankenhäuser empfinde ich häufig als sehr hierarchisch. Während Führungskräfte in der Industrie häufiger durch ein klares Verständnis von Führung und entsprechendes Coaching begleitet werden, ist das im Krankenhaus meist nicht der Fall. Teilweise fehlen Zielbilder für Führung, Zusammenarbeit und Wertesysteme, die Führung bewertbar machen“, beschreibt Eckhard Remich die aus seiner Sicht wichtigste Kompetenz eines Unternehmens für Transformationsprozesse. „Transformation, also die Implementierung neuer Strategien, erfolgt von innen heraus. Und daran scheitert es auch: am Herunterbrechen der Strategie und der Implementierung auf Mitarbeiterebene, am Widerstand des Menschen gegen Veränderung. Diese Herausforderung gilt es auch, im Krankenhaus anzunehmen. Mitarbeiter wollen emotional, nicht sachlich mitgenommen und vor allem involviert werden. Ihnen geht es – im Gegensatz zur Organisationseinheit ‚Krankenhaus‘ – eben nicht in erster Linie um Wertschöpfung und Kostenoptimierung, aber beispielsweise um das Gefühl, etwas zum Wohl der Patienten beizutragen. Daher sehe ich Führung in transformativen Prozessen als eminent wichtig an. Transformation hat keinen Selbstzweck, sie muss etwas besser machen.“
Ein Ausblick auf das Krankenhaus der Zukunft
„Um das Krankenhaus der Zukunft zu begreifen, müssen wir zunächst akzeptieren, dass Technologien und die Digitalisierung hier nur Mittel zum Zweck sind. Das Ziel muss dort sein, die Potentiale der Menschen in der Organisation bestmöglich einzusetzen“, findet Eckhard Remich. Und er sieht eine weitere Gemeinsamkeit: „Genau wie das Industrieunternehmen der Zukunft muss auch das Krankenhaus der Zukunft die Arbeitsabläufe innerhalb der Organisation auf die Bedürfnisse der jeweiligen ‚Kunden‘ hin optimieren. Der Rest ist dann wieder eine Frage der Führung und der Motivation und Inspiration der Mitarbeiter.“
Potentiale für die Optimierung von Abläufen im Krankenhaus kann der Experte durchaus ausmachen. „Noch stören ganz grundlegende Ereignisse: Patient nicht da, Operateur nicht da, Dokumentation nicht da und so weiter. Ansatzpunkte für Prozessverbesserungen drängen sich auf. Eine Standardisierung von Prozessen beispielsweise führt zu einer Reduktion von Prozessdefiziten, die wiederum die Patientensicherheit fördert und gleichzeitig die Wertschöpfungskette verbessert. Das wiederum sorgt für mehr Mitarbeiterzufriedenheit und eine bessere Patientenerfahrung. So entsteht Zukunftssicherheit. Und das ist dann das Krankenhaus der Zukunft.“