Digitalisierung als Zukunftsrezept gegen den Ärztemangel

Laut einer Studie von PwC werden dem deutschen Gesundheitssystem bis zum Jahr 2030 mindestens 400.000 Vollzeitkräfte im Gesundheitswesen fehlen. Besonders stark macht sich der Personal-Notstand dabei in den ländlichen Regionen bemerkbar. So sind es vor allem kleinere Gemeinden und Krankenhäuser, die bereits jetzt vor der Herausforderung stehen, nicht nur ausreichend Personal zu rekrutieren, sondern dieses auch langfristig zu binden. Hinzu kommen neue Anforderungen und Erwartungen seitens des Personals, mit denen sich Kliniken zwingend auseinandersetzen müssen:

„70 % der derzeitigen Studierenden sind weiblich, da ist die Erwartungshaltung an den Arbeitsplatz natürlich eine ganz andere als vor zwanzig Jahren. Damals hat sich der Arzt, oftmals männlich, straight seiner Karriere untergeordnet. Heute haben wir eine Generation, wo man Familie und Beruf sozusagen kombinieren muss und dem müssen wir uns stellen“, so Thomas Lippmann, Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH Weilheim-Schongau.

Wie können Kliniken Anreize für eine Mitarbeiterfreundliche Unternehmenskultur setzen und welche Rolle kann Digitalisierung bei der Personal-Entlastung einnehmen?

Im Interview mit Thomas Lippmann – Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH Weilheim-Schongau.

Interview mit Thomas Lippmann, Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH Weilheim-Schongau

Herr Lippmann, Sie sind seit 2014 Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH Weilheim-Schongau. Wie gestaltet sich Ihrer Wahrnehmung nach aktuell die Personalsituation in Krankenhäusern bzw. welche Herausforderungen ergeben sich konkret aus den Personalengpässen?

Die Personalgestaltung, vor allem für kleine Kliniken, gestaltet sich als sehr herausfordernd, wenn man es positiv betrachten möchte. Es ist extrem schwierig, vor allem im Bereich Ärzte und Pflege. Wenn wir nur auf die Ärzte schauen, ist das größte Problem natürlich der Notstand, aber nicht in Summe gesehen, sondern der Notstand in gewissen Regionen. Das heißt, wir haben eine Ungleichverteilung von Ärzten und ein Problem damit, Ärzte in den ländlichen Bereich zu bringen. Der zweite Punkt ist, dass wir heute ein anderes Anforderungsprofil haben und erwarten. Eine Rolle spielt dabei auch das Thema Verweiblichung der Medizin. 70 % der derzeitigen Studierenden sind weiblich, da ist die Erwartungshaltung an den Arbeitsplatz natürlich eine ganz andere als vor zwanzig Jahren. Damals hat sich der Arzt, oftmals männlich, straight seiner Karriere untergeordnet. Heute haben wir eine Generation, wo man Familie und Beruf sozusagen kombinieren muss und dem müssen wir uns stellen. Das ist eine sehr große Herausforderung.

Welche Anreize setzen Sie konkret in Ihrem Haus, um Personal langfristig zu binden?

Die größte Herausforderung nach der Gewinnung von Personal ist es, das Personal auch zu halten. Der Schlüssel diesbezüglich ist meiner Meinung nach die Unternehmenskultur. Die Zeiten, in denen man als Arzt morgens in ein Krankenhaus reinkommt und froh ist, wenn die Schicht rum ist, sind vorbei, denn dann gehen die Leute. Das heißt, bezüglich der Unternehmenskultur muss man Hierarchien abbauen und viele Maßnahmen für das Team einführen. Das fängt an bei gemeinsamen Kinoabenden, bis hin zu After Work Partys. Das klingt jetzt natürlich alles sehr gesellschaftlich, aber ich glaube, Unternehmenskultur ist ein sehr wichtiger Faktor. Wichtig ist der Wohlfühlcharakter und dass wir auch nicht die Erwartungshaltung haben, dass jeder Arzt von früh bis nachts arbeiten möchte. Ärzte, die aus einer älteren Generation kommen und über 50 Jahre alt sind, müssen sich jetzt umgewöhnen.

Welche Rolle spielt Digitalisierung in diesem Kontext, beispielsweise bei den von Ihnen angesprochenen flexiblen Arbeitszeitmodellen?

Wir setzen auf Digitalisierung, aber ich glaube, die Erwartungshaltung, dass wir mit dem Thema Digitalisierung im Gesundheitswesen alles lösen können, wäre falsch. Ich glaube aber, wir können mit Digitalisierung vieles erleichtern, beispielsweise den ganzen Bürokratieaufwand. Die Tatsache, dass der Arzt oder die Schwester am Patienten sind, wird immer bleiben. Wir müssen eher schauen, wie wir vielleicht sparsamer mit Ressourcen umgehen, insbesondere was Verwaltung und Administration angeht. Dort müssen wir viel wegnehmen, auch auf andere Berufsfelder. Die Mensch zu Mensch-Beziehung wird dabei aber in den Kliniken bleiben.

Wo sehen Sie weitere Potenziale, weiteren Optimierungsbedarf, um die Personalsituation in Kliniken langfristig zu entschärfen. Was wünschen Sie sich diesbezüglich für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass wir gegenüber den Ärzten die Misstrauenskultur, was Dokumentation betrifft, ablegen. Wir haben in Deutschland eine sehr stark ausgeprägte Akteurslandschaft, wir haben die Krankenkassen, den MDK, Krankenhäuser und andere Leistungsanbieter. Wir haben uns untereinander ein bisschen hochgepusht, was die Verwaltung betrifft. Ärzte müssen sehr viel ausfüllen und nachweisen. Wenn wir wieder eher einen Schritt zurückgehen und den Ärzten und Schwestern vertrauen würden, könnten wir wahrscheinlich sehr viel Administration und den Druck von den Ärzten wegnehmen, den sie haben, wenn sie beim Patienten stehen. Denn danach muss teilweise doppelt so lange dokumentiert werden.