Christine Aschenberg-Dugnus über Digitalisierung, Telemedizin & Fernbehandlungen

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist in Deutschland ein Trauerspiel

Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP Fraktion und Mitglied des Ausschusses für Gesundheit, fordert: Die Politik muss die Medizin der Zukunft ermöglichen. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland ist ein Trauerspiel und viele andere Länder sind uns weit voraus. Wir sollten von ihnen lernen, in der Telemedizin und auch bei vielen anderen digitalen Healthcare-Technologien. Momentan verpassen wir unsere Chancen und werden von allen anderen überholt.

Helfen würde, wenn diejenigen, die digitale Innovationen und Behandlungsmöglichkeiten voranbringen, auch vergütet werden. Gleichsam müssen die Akteure vernetzt werden, um die Strukturen zu verbessern und das Gesundheitswesen sektorenübergreifend gestalten zu können. Dazu müssen sie untereinander digital kommunizieren können und das muss mit aller Vehemenz und Energie unterstützt und vorangetrieben werden. Die Chancen der Digitalisierung müssen wir nutzen – wer nicht per App mit seinem Arzt kommunizieren oder seine Daten keiner App anvertrauen möchte, der muss es nicht. Doch viele wollen es und so müssen die entsprechenden Möglichkeiten auch von der Politik geschaffen werden.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Frau Aschenberg-Dugnus, Sie sind seit 2017 gesundheitspolitische Sprecherin der FDP Fraktion und Mitglied des Ausschusses für Gesundheit. Sie setzen sich besonders für eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots ein. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Vorteile, die eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots mit sich bringen würden?

Naja, gerade bei einfachen Erkrankungen ist es oft wichtig, dass der Patient überhaupt jemanden erreicht. Ob das jetzt physisch ist, ob er Ihnen gegenübersitzt, oder ob das über eine Fernbehandlung passiert, ist für den Erfolg eigentlich egal. Aber es ist ja auch immer noch so, dass der Arzt entscheidet, in welchen Fällen eine Fernbehandlung möglich ist und in welchen nicht. Es wird also dazu führen, dass viel weniger Menschen oder Patienten dann die Wartezimmer verstopfen und der Arzt, wenn er eben seine Tele-Sprechstunde abgeschlossen hat, mehr Zeit hat, um sich dann um die schweren Erkrankungen, um die Diagnostik zu kümmern. Das ist ein großer Vorteil und natürlich auch für den Patienten, der oft nicht weiß, ist es jetzt irgendwas Schwerwiegendes oder nicht. Wenn er dann jemanden erreichen kann, telemedizinisch seinen Arzt, dann kann man besprechen, ist jetzt noch ein Termin notwendig oder geht es eben auch so.

Welche Risiken birgt eine Fernbehandlung und in welchen Situationen ist der persönliche Kontakt unumgänglich?

Das sollte der Arzt entscheiden, das liegt ja auch in seiner Verantwortung. Es ist ja nicht so, dass jetzt alle Menschen telemedizinisch behandelt werden sollen. Ich wiederhole, die einfachen Fälle und da, wo der Arzt mit seinem Patienten gemeinsam entscheidet – ich sag jetzt mal 37,5 ist kein richtiges Fieber, aber eine leichte Erkältung – da muss sich der Patient nicht ins Wartezimmer schleppen, das kann er über die telemedizinische Behandlung gesagt bekommen. Das wäre eben auch meine Vision, gleich an die Apotheke, das entsprechende Medikament bekommt der Patient nach Hause geliefert. Das ist für mich die Medizin der Zukunft und das müssen wir ermöglichen, als Politik.

Wird das Fernbehandlungsverbot fallen und wann?

Die Bundesländer setzen es ja peu à peu schon um. Ich komme aus Schleswig-Holstein; Schleswig-Holstein war einer der ersten, die das Fernbehandlungsverbot gelockert haben und ich sehe schon, dass die Ärzte die Vorteile erkennen und deswegen wird es sich durchsetzen. Einen genauen Termin zu sagen, das wäre jetzt Glaskugelsehen. Aber ich werde überall da, wo ich politisch bin, dafür Werbung machen, auch bei den Patienten. Und die Patienten fordern es ja auch, insofern wird es schneller gehen als manche denken.

In Deutschland kommt die Digitalisierung im Gesundheitswesen ja ein bisschen langsam voran…

Das ist aber sehr höflich ausgedrückt. Das ist eigentlich ein Trauerspiel, was bei uns im Moment passiert. Wenn Sie sich andere Länder anschauen, da sind alle viel viel weiter. Daraus sollten wir doch lernen. Im Ausland funktioniert das schon seit Langem: Telemedizin, digitale Anwendungen. Bei uns fängt es langsam an. Ich habe auf vielen Veranstaltungen Ärzte kennengelernt, die das schon machen. Zum Beispiel Diabetologen, die über Diabetes-Apps mit ihren Patienten in Kontakt treten und die Behandlung durchführen. Das ist natürlich immer alles freiwillig – also der Arzt muss es wollen und der Patient muss es wollen. Aber es wollen im Moment mehr Patienten als es Ärzte gibt, die sich darauf einstellen. Aber auch das wird sich wandeln und da müssen wir in Deutschland auch die Chancen sehen. Es ist kein Allheilmittel, aber es ist eine Chance und die dürfen wir nicht verpassen. Und im Moment sind wir dabei, unsere Chancen zu verpassen, weil das Ausland uns schon überall in allen Bereichen der Digitalisierung im Gesundheitsbereich überholt hat. Das darf eigentlich sein.

Was kann die Regierung noch tun außer Sanktionen und Fristen zu verhängen? Welche alternativen Maßnahmen gibt es da noch?

Also man diskutiert ja gerade, da bin ich auch dabei, digitales Budget zum Beispiel, denn man muss auch ganz klar sagen: das muss vergütet werden; wir müssen Vergütungsmöglichkeiten schaffen. Und diejenigen, die Vorreiter sind, die neue Innovationen und Behandlungsmöglichkeiten oder die Digitalisierung voranbringen, die müssen dafür auch eine Vergütung erhalten. Insofern müssen wir darüber diskutieren.

Wir müssen zum Beispiel auch Anbietern die Möglichkeiten geben, verschiedene Apps auf den Markt zu bringen. Wir haben ja jetzt gesehen, die Krankenkassen fangen mit ihren elektronischen Patientenakten an. Das sind ja alles Dinge, wo Unternehmen sagen: Es passiert nichts, also müssen wir jetzt endlich mal was machen.

Wichtig ist dabei, dass die Interoperabilität dabei nicht zu kurz kommt. Das heißt, wir dürfen nicht irgendwann feststellen, das Ganze können wir jetzt nicht in unser System einspeisen. Insofern ist das eben ganz wichtig, da müssen die Schnittstellen geschaffen werden, die Möglichkeiten geschaffen werden, aber dann sollen wir das doch dem Markt und den Akteuren überlassen und dann auch natürlich den Patienten und dem Versicherten, womit er am besten arbeiten kann und ob er das überhaupt möchte.

Die Bürokratie ist eine gewisse Hürde in den ganzen Prozessen. Wie kann die Regierung die Entbürokratisierung unterstützen bzw. vorantreiben?

Meinen Sie die Bürokratie im Voranbringen der Telemedizin oder Digitalisierung oder meinen Sie allgemein die Bürokratie im Gesundheitswesen?

Allgemein die Bürokratie.

Ja, da ist natürlich gerade die Digitalisierung eine Riesen-Chance. Digitalisierung an sich ist ja kein Wert. Sie muss Ärzte entlasten, Therapeuten entlasten, sie muss Pflegekräfte entlasten und das ist ein ganz wichtiger Teil der Digitalisierung. Deswegen bin ich ja auch so ein großer Befürworter, weil ich viele Möglichkeiten sehe. Die Reduzierung der Bürokratie, aber auch im Rahmen der Gesundheitsversorgung allgemein. Wenn ich alle Akteure vernetzt habe, dann kann ich auch unsere Strukturen verbessern und das Gesundheitswesen sektorenübergreifend gestalten. Das kann ich aber nur machen, wenn sie untereinander auch digital kommunizieren können. Das ist praktisch ein ganzes Projekt, bei dem wir einzelne Bausteine zusammenfügen müssen. Das ist ganz wichtig und da müssen jetzt endlich mal auf die Tube drücken und Gas geben.

Was ist Ihre persönliche Motivation, sich für die Digitalisierung im Gesundheitswesen einzusetzen? Was möchten Sie in den nächsten Jahren erreichen?

Naja, als Abgeordnete sehe ich halt die Vorteile, weil ich mit vielen Akteuren, die das schon machen in Deutschland, in Kontakt komme. Diese Begeisterung treibt mich dabei um. Ich sehe immer die Chancen und nicht die Risiken. Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der immer die Risiken vorangestellt werden und nicht die Chancen dieser Digitalisierung. Da bin ich eben ganz anders gestrickt, allein von meiner Persönlichkeit her, und deswegen werbe ich auch überall dafür. Wie gesagt, es ist ja kein Zwang, es ist keine Pflicht – wer nicht mit einer App mit seinem Arzt kommunizieren möchte oder seine Daten auf einer App haben möchte, der muss das ja nicht. Aber es wollen viele und deswegen müssen wir diese Möglichkeit schaffen. Sie sehen, ich brenne dafür und das werde ich auch weiter so tun.

Sehr schön. Vielen Dank für das Gespräch.

Gerne doch.