DSGVO und digitale Innovationen im Gesundheitswesen
Auf dem Hauptstadtkongress für Medizin und Gesundheit in Berlin, haben wir mit Prof. Dr. Jens Prütting über die Chancen und Hürden der Digitalisierung im Gesundheitswesen gesprochen. Auf der einen Seite hängen wir im internationalen Vergleich mit der Digitalisierung hinterher, auf der anderen Seite stellt sich die Frage, wie wir mit der kürzlich in Kraft getretenen DSGVO im Gesundheitswesen umgehen sollten? Wie kann man solide, gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, ohne die Digitalisierung und die damit einhergehenden Innovationen im Gesundheitswesen auszubremsen?
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Sie sind Experte für Medizinrecht und sind seit 2017 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinrecht der Bucerius Law School. Was ich Sie fragen wollte: Wie können technologische Lösungen die Gesundheitsversorgung verbessern und den Menschen helfen?
Ja, davon bin ich ehrlich gesagt überzeugt! Wir haben verschiedene Felder in denen wir Fortschritte machen können. Bestes Beispiel ist die Versorgungsbandbreite und die Versorgungsqualität, aber auch das Versorgungsfeld, wobei wir hier natürlich mehr aufpassen müssen. Nehmen Sie einfach nur die städtische und die ländliche Versorgung. In der städtischen Versorgung haben sie meistens eher kein so großes Problem. Es gibt eine höhere Ärztedichte, es gibt kürzere Wege und Sie können relativ gut alles erreichen. Notfalls dann doch noch einen Termin bekommen, wenn Sie nicht gerade beim Psychologen oder Psychotherapeuten sind. Hier sind Termine unglaublich rar und hiervon gibt es mehrere solcher Felder. Aber wenn Sie auf dem Land wohnen, wie zum Beispiel in Niebüll, ganz im Norden, da ist es bis zum nächsten relevanten Facharzt häufig 100 oder 200 Kilometer. Das geht nicht und in Notfallsituationen sowieso nicht. Hier können aber technologische Lösungen wunderbar greifen. Wenn man Plattformen schafft, wenn man die erste Angst nehmen kann. Es besteht irgendwas und man hat die Möglichkeit direkt nachzufragen und man muss nicht kilometerweise zum Arzt fahren. Das ist eine Möglichkeit. Auch die Vernetzungsmöglichkeiten bezüglich Beratung und weiteren Leistungen sehe ich vor allem im psychiatrischen Bereich, also überall wo geredet wird. Klar, Sie können über das Netz keine Operationen ausführen, aber Sie können hier natürlich ganz gut eine Operation begleiten, können erwägen, wie man das verbessern kann, einen Experten zuschalten, der internationale Expertise hat und dann hier vielleicht noch helfen könnte. Das sind alles Möglichkeiten und davon gibt es sehr viele. Ich denke, der Vorstellungskraft sind hier keine Grenzen gesetzt. Man muss es natürlich auch regulieren, man muss aufpassen, dass man es sauber begleitet.
Wir reden ja gerade alle von Digitalisierung, auf der anderen Seite haben wir jetzt die DSGVO, die in Kraft getreten ist. Wie sollten ihrer Meinung nach die Akteure im Gesundheitswesen mit der DSGVO umgehen?
Die DSGVO hat sehr viel Unsicherheit gebracht. Man darf nicht vergessen, es handelt sich um eine europäische Verordnung, sie gilt also in allen Mitgliedstaaten direkt, anders als die Richtlinie, die noch umgesetzt werden muss. Diese Verordnung, die jetzt nun alle direkt betrifft, hat sehr viele Veränderungen gebracht, die aber im Vergleich zum deutschen Recht gar nicht so groß sind. Weil wir aber nicht mehr genau die Grenzen und Rahmenbedingungen kennen, bis auf die wenigen Leute, die sich sowieso damit beschäftigt haben und das ist dann doch der deutlich kleinere Teil, erst einmal nicht wissen wie man sich richtig verhält. Man gerät vielleicht in die Fänge der Abmahnindustrie. Ich sage das jetzt bewusst ein bisschen negativ besetzt, aber es gibt natürlich völlig berechtigte Abmahnungen, verstehen Sie mich nicht falsch. Nur, es gibt eben auch Leute, die daraus ganze Geschäftsmodelle machen und das ist höchst ärgerlich und eine riesen Innovationsbremse. Die DSGVO selbst, bringt ein paar interessante neue Werkzeuge mit sich. Beispielsweise das Recht auf Vergessenwerden. Ähnliches gab es schon mal, aber da streiten sich die Geister sehr. Jetzt haben wir es sehr deutlich im Gesetz stehen. Aber eben auch erweiterte Sachen, was muss der Datenschutzverantwortliche alles tun? Sie fragten mich, wie geht man mit der DSGVO um? Ich sage Ihnen ganz offen meine Meinung, ohne jetzt den juristischen Berater unterstreichen zu wollen. Aber, wenn ich momentan ein Gewerbe habe oder einen freien Beruf, Ärzteschaft, Ähnliches, die da Plattformen bauen wollen, sich erweitern wollen, da braucht man juristische Expertise an der Hand, da muss man zum Fachmann gehen und muss sagen, bitte begleitet das doch einmal oder schau dir mein Gesamtwerk an. Was kann man damit machen, was fehlt mir noch? Was sind so die klassischen Tretminen? Da gibt es ja mittlerweile auch einige vernünftige Veröffentlichungen, wo man sich selber erst einmal einlesen kann, ohne großes Geld in die Hand nehmen zu müssen. Man sollte aber auf jeden Fall nicht von der Hand in den Mund jetzt einfach sagen, „ich hab keine Ahnung, aber es wird schon gut gehen“. Das ist hochgefährlich.
Sie halten das Fernbehandlungsverbot für eine Innovationsbremse. Welche Verbesserungen sind zu erwarten, wenn das Fernbehandlungsverbot vollständig aufgehoben wird?
Da kann ich im Prinzip auf meiner ersten Antwort aufbauen. Ich halte eine Erweiterung hier für eine große Chance, gerade im Bereich Versorgung, der Reichweite der Versorgung. Vorhin hatten wir schon das Stichwort ländliche Versorgung. Ich denke auch, dass wir Qualitätserhöhung kriegen können, aber und jetzt kommt ein ganz großes aber, wir müssen natürlich schauen, wie wir eine Öffnung des Fernbehandlungsverbots regulieren. Der 121. Deutsche Ärztetag ist herangegangen und hat gesagt, okay ich mache aus dem vollständigen Verbot in 7 Absatz 4 der Musterberufsordnung für Ärzte, was noch keine rechtliche Regelung ist, das muss erst umgesetzt werden durch die zuständigen Landesärztekammern, mache ich jetzt mal den Vorschlag als Empfehlung, „bitte liebe Landesärztekammern öffnet das in eine Einzelfallprüfung, bei der immer noch die direkte Arzt-Patientenbeziehung im Vordergrund steht, aber man dann hergeht und sagt, im Einzelfall passt es gut“. Zum Beispiel der Patient ist weit weg oder man braucht sehr schnelle Versorgung usw. Notfallversorgung ist nie ein Problem, denn da haben Sie immer einer Rechtfertigung. Da kann man nachsteuern, aber dann kommt die Frage, wo muss man wieder den Strich ziehen? Und der Strich ist spätestens da, wovor der Deutsche Ärztetag auch etwas Angst hat, das sieht man in den Beschlussprotokollen sehr deutlich, wenn Sie plötzlich Call-Center einrichten. Wenn dann massenhaft Leute dasitzen, die das irgendwie outgesourced haben und sagen, ruf erst mal uns an, dafür nehmen wir dann 20 € und erklären dir, dass du nur ein Schnupfen hast. Dann brauchen wir nicht lange zu warten und ich sag es ein bisschen polemisch, dann brauchen wir nicht lange zu warten, bis die ersten paar Todesfälle, wegen unerkanntem Was-auch-immer, da sind. Dann haben wir natürlich sofort einen riesen Aufschrei und dann kann das Ganze natürlich in die Kehrtwende gehen. Nämlich, dass man dann sagt, das alles mit der Öffnung war falsch, lass uns das komplett zurückdrehen. Nein, was wir brauchen ist nach vorne schauen, aber vernünftig begleitet, zum Beispiel durch Haftpflichtversicherungen, die irgendwo das auch tragen müssen, Prämienerhöhungen oder eben durch Modelle, die vorher auch geprüft werden. Wo man sagt, melden macht frei, geh zur Ärztekammer und lass dich mal prüfen, ist das denn so ein schönes Konzept, haben die ein Problem damit? Das wäre doch zum Beispiel eine Möglichkeit.
Digitale Vernetzungslösungen im Gesundheitssektor können die Kommunikation und die Qualität der Versorgung erheblich verbessern. Auf der anderen Seite haben wir Datenschutzverordnungen, die hinsichtlich der Brisanz von Gesundheitsdaten auch notwendig sind. Wie kann man eine Grundlage schaffen, in welcher zum einen das Recht auf eine, von Innovation abhängige, optimale Behandlung und zum anderen das Patientenrecht auf Datenhoheit gewahrt wird?
Sie meinen jetzt eine rein technische Grundlage, also wie man das tatsächlich praktisch umsetzen würde oder worauf zielt dabei ihre Frage?
Da kommen ja verschiedene Patientenrechte zusammen. Zum Beispiel hat der Patient recht auf eine optimale Behandlung, die eben auch abhängig ist von den Innovationen, die möglich sind und auf der anderen Seite hat man stringente Datenschutzverordnungen. Wie kann man eine Grundlage schaffen, dass das zusammenkommt und auch zusammen funktioniert?
Sie sprachen ja gerade schon von dem Recht auf optimale Versorgung. Das gibt es jetzt schon so eigentlich nicht. Selbst das haftungsrechtliche Recht auf Versorgung ist normalerweise, wir reden zwar gerne vom Facharzt oder vom Goldstandard, aber auch da gibt es natürlich immer wieder Innovationen, die noch kein medizinischer Standard sind. Es muss sich nämlich in der medizinischen Erprobung und in der Fachwelt durchgesetzt haben. Aber, man könnte auch hier erwägen, das Problem haben wir nämlich jetzt schon intensiv in Verbindung mit dem Sozialversicherungsrecht, das nämlich notwendige, ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung anbietet. Wir reden hier von einem Standard Korridor, wie man so schön sagt. Deswegen kann es vom Standard her durchaus mal niedriger sein, als das was wir im haftungsrechtlichen Bereich als Standard erwarten würden. Also das was der Patient vom Arzt auf Vertragsbasis erwarten darf. Wenn ich mir das überlege und in die digitale Welt parallelisiere, muss ich sagen, Versorgung und sei es ausreichende und wirtschaftlich angemessene Versorgung ist besser als keine Versorgung. Also wiese nicht erstmal den Ansatz nehmen, um zu sagen, das Haftungsrecht überlegt sich auch erstmal, ob es wirklich alles unter Haftung stellen muss und das Strafrecht, ob es wirklich alles mit Strafverfolgung besetzen muss. Sondern, lass uns erstmal zurückschrauben und schauen, wo haben wir denn Bereiche, die überhaupt nicht versorgt sind und lass uns die mal mit der Digitalisierung und ihren Möglichkeiten angehen. Und wenn da keine optimale Versorgung rauskommt, kein Goldstandard, dann ist das erstmal so und wir klären den Patienten lieber darüber auf. So ist es übrigens schon jetzt so in Paragraf 7 Absatz 4 der neuen Fassung der Musterberufsordnung für Ärzte zum Fernbehandlungsverbot. Wir klären den Patienten gesondert darüber auf, dass es jetzt über Fernkommunikationsmittel läuft, bekennen dabei aber auch, dass der Patient sich möglicherweise auf einen gewissen, niedrigeren Stand einlässt. Das muss möglich sein und ist übrigens auch jetzt schon möglich nach dem klaren Wortlaut des Paragraf 36 Absatz 2 BGB, der genau vorgibt, dass man eine solche Vereinbarung wohl schließen kann.
Welche Veränderungen würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Ich denke, ein echtes Desiderat für die Zukunft wäre, dass einerseits die Ärzteschaft sich sehr intensiv aber auch zukunftsoffen mit der Digitalisierung befasst. Wir haben dort viele sehr extensive Bedenkenträger. Dafür habe ich großes Verständnis und diese Leute sind sehr wichtig, denn sie verhindern, dass man den Fehler macht zu übertreiben oder zu schnell voranzugehen. Auf der anderen Seite sollte man nicht vergessen, dass man sich auch nicht völlig abhängen lassen sollte. Das ist eine gefährliche Gratwanderung, bestes Beispiel ist nochmal das Fernbehandlungsverbot, das in vielen anderen europäischen Ländern längst erlaubt ist. Daher sind sie natürlich auch an vielen Stellen viel weiter, wenn es um die Einrichtung, die Applikationen etc. geht. Vor diesem Hintergrund wäre ein Desiderat an die Ärzteschaft, dass sie nicht zu stark hemmen. Ich weiß ihr habt Sorge um die Hausarzt zentrierte Versorgung, aber ihr müsst auch sehen, dass hier eine riesen Chance liegt. Es gibt Marktkräfte die das mit regulieren werden, das Strafrecht das Datenschutzrecht, die begleiten euch ja. Es gerät nicht alles außer Kontrolle.
Das zweite richtet sich vermutlich an den jeweils zuständigen Gesetzgeber. Ich muss bewusst sagen, jeweils zuständigen Gesetzgeber, denn es gibt ganz viele verschiedene. Beim Gewerberecht ist es ein anderer als bei der Berufsordnung für Ärzte. Hier der Landesgesetzgeber, da der Kammergesetzgeber. Das sind völlig andere Personen die da entscheiden. Letztendlich werden sich hier die verschiedenen Gesetzgeber, die hier
betroffen sind, überlegen müssen, dass wieder ein Vernunft geleiteter Gleichlauf herkommt. Dass man also zum Beispiel jetzt schaut, wenn die Fernbehandlung halbwegs funktioniert und die digitalen Elemente darin auch gut funktionieren, dass man dann auch bewusst schnell hinterherkommt mit der Arzneimittelabgabe, dass diese auch grundsätzlich möglich wäre nach Paragraf 48 Arzneimittelgesetz. Oder, dass man auch in gewissem Rahmen, Vernunft geleitet werben darf, nach Paragraf 9 HWG. Solche Dinge wären wohl auch ein Desiderat an den Gesetzgeber.