Digitalisierung im Gesundheitswesen – scheitern wir am System?
Welche Faktoren sind im Deutschen System dafür Verantwortlich , dass Digitalisierung und Innovationen im Gesundheitswesen scheitern? Lesen sie dazu die Stellungnahme von Experten.
“Ich fordere mehr Offenheit der Institutionen, der Kassen, der Leistungsträger, aber auch der Ärzte, hier mit reinzugehen und zu sagen: Wir probieren das aus.”
Dr. Tobias Gantner, Gründer der HealthCare Futurists GmbH sagt, wir werden nicht an der Technik scheitern, sondern am System. Er sieht, dass Start-ups tolle Technologien produzieren und tolle Ideen haben, dann jedoch häufig scheitern, weil sie nicht begreifen, wie das deutsche Gesundheitswesen funktioniert. Deswegen fordert er mehr Offenheit der Institutionen, der Kassen, der Leistungsträger, aber auch der Ärzte, hier mit reinzugehen und zu sagen: Wir probieren das aus.
Dr. Tobias Gantner sieht Barrieren in der Digitalisierung des Gesundheitswesens vor allem darin begründet, dass die Stakeholder in diesen Bereichen sich sehr gut eingerichtet haben. Und dann kommt ein digitales Produkt, das erstmal unbekannt ist. Es ist nicht klar, was macht das überhaupt, nimmt das Geld weg, nimmt das Patienten weg, macht das möglicherweise Dinge transparent, die nicht transparent sein sollten oder nicht so transparent sein sollten? Es kommt zu einer Verschiebung von Machtverhältnissen. Es entstehen Märkte, wo vielleicht früher gar kein Markt war oder wo, nach der Meinung mancher, gar kein Markt sein sollte. Das führt zu Angst und diese Angst führt dazu, dass Dinge verlangsamt werden.
Regulierungen müssen im Zuge der Digitalisierung angepasst werden. Das kann nicht eine einzelne Institution machen, das muss gemeinschaftlich geschehen. Dr. Tobias Gantner ist sich sicher: Wir können uns dem nicht mehr verschließen. Jetzt haben die Möglichkeit mitzugestalten. Irgendwann wird der Zug abgefahren sein und dann wird das jemand anderes machen.
Dabei ist wichtig, dass auch die Honorierungen passen. Ärzte können nicht dazu verpflichtet werden, etwas einzusetzen, was sie eigentlich gar nicht honoriert bekommen. Gleichsam werden die Patienten mehr Selbstverantwortung übernehmen und ihren Lebensstil anpassen müssen. Der demografische Wandel wird klarer werden. Beiträge werden möglicherweise steigen, möglicherweise wird es eine Basisleistung geben, möglicherweise werden private Krankenversicherer sich neue Geschäftsmodelle überlegen müssen. Und möglicherweise ist auch die gemeinsame Selbstverwaltung nicht mehr so, wie wir sie heute kennen, sondern in einer anderen Form.
Lesen Sie hier das ganze Interview:
Sie sind Gründer der HealthCare Futurists GmbH in Köln und Sie waren davor auch schon Leiter verschiedener Unternehmen und Konzerne im Gesundheitswesen. Bezüglich der Digitalisierung im Gesundheitswesen sagen Sie, dass wir nicht an der Technik scheitern, sondern am System. Was genau meinen Sie damit bzw. was ist dieses System?
Wir sehen immer wieder, dass Start-Ups eine tolle Technologie produzieren und tolle Ideen haben, sie aber so in ihre Technologie verliebt sind: ihr Genie Gadget, worüber sie die Doktorarbeit geschrieben haben, was irgendwo an der Uni entwickelt worden ist. Wenn es dann um den Versorgungsalltag geht, das einzubauen beim Patienten, wie nutzt ein Patient das, wie kriegt er das erstattet, wer spielt dort mit, welche Interessen gibt es da auf verschiedenen Ebenen? Dann scheitern sie häufig, weil sie nicht begreifen, wie das deutsche Gesundheitswesen funktioniert und weil sie sehen, dass das in jedem Gesundheitswesen irgendwie anders ist. Wir haben ja keine Vereinigten Staaten von Europa, sondern wir haben recht viele unterschiedlich funktionierende Gesundheitswesen. Das ist dann problematisch für so ein Unternehmen, weil auch ein Investor dann raus geht und sagt: Ja ich weiß ja nicht wann ihr das denn wirklich auf den Markt bekommt. Und daran scheitert das dann häufig. Deswegen fordere ich eigentlich mehr Offenheit der Institutionen, der Kassen, der Leistungsträger, aber auch der Ärzte, hier mit reinzugehen und zu sagen: Wir probieren das aus. Wir schaffen Test Beds, Test Sites, an denen wir solche Sachen untersuchen können, Evidenzen generieren können und dann entscheiden können, ob oder wie wir das in die Erstattung bringen.
Okay, es scheitert also oft an der praktischen Umsetzung. Sehen Sie da noch weitere Barrieren, die es zu überwinden gilt?
Die Stakeholder im Gesundheitswesen haben sich sehr gut eingerichtet in diesen Bereichen. Und jetzt kommt hier eine Lösung über ein digitales Produkt und dieses digitale Produkt ist erstmal unbekannt. Es ist nicht klar, was macht das überhaupt, nimmt das Geld weg, nimmt das Patienten weg, macht das möglicherweise Dinge transparent, die nicht transparent sein sollten oder nicht so transparent sein sollten? Es kommt zu einer Verschiebung von Machtverhältnissen. Es entstehen Märkte, wo vielleicht früher gar kein Markt war oder wo, nach der Meinung mancher, gar kein Markt sein sollte. Das führt zu Angst und diese Angst führt dazu, dass Dinge verlangsamt werden. Man merkt jetzt, man kann es nicht mehr verhindern. Der Ärztetag hat beschlossen, dass das Fernbehandlungsverbot eingeschränkt werden soll. Ja, die Büchse der Pandora ist damit offen. Wir werden sehen, was da passiert. Aber das kommt immer alles mit ein bisschen Zeitverzug und das ist die Herausforderung, die wir gerade sehen.
Also es liegt auch oft an der Bereitschaft der Mitarbeiter, dass da gewisse Zweifel und, wie Sie sagen, Ängste sind, dass das dann nicht richtig implementiert werden kann. Denken Sie, dass etwas mehr Bereitschaft auf Seiten der Mitarbeiter im Gesundheitswesen da sein sollte?
Ich würde gar nicht sagen, dass die Mitarbeiter damit zu tun haben, sondern das sind so Themen wie: Wir wissen nicht was dabei rauskommt. Wir sind aber den Patienten verpflichtet, also haben die Daseinsfürsorgepflicht für den Patienten. Wir gehen mit beitragsfinanzierten Geldern um. Wir müssen Evidenzen nachweisen. Deswegen sage ich auch gar nicht, Regulierungen sind schlecht und die müssen alle weg. Nein nein, ich sage: Regulierungen müssen angepasst werden, also man muss sich überlegen: Wie kann man zum Beispiel einen digitalen Market Access machen? Wie das mit Pharmaka geht, das wissen wir mittlerweile. Wie geht das mit Apps, wie geht das mit Wearables, wie geht das mit Dienstleistungen und Services? Wie können wir die erproben? Ist der Randomized Controle Trial weiterhin der Goldstandard? Muss es da etwas anderes geben, etwas angepasst werden? Das sind viele Fragen, an die müssen wir rangehen. Das kann nicht eine einzelne Institution machen, das muss gemeinschaftlich geschehen. Da muss der G-BA sich auch öffnen. Und dann geht es natürlich auch in die einzelnen Kassen, die zum Beispiel sagen können: Wir probieren das mal aus, über einen Selektivvertrag oder ein Muster-Projekt und dergleichen. Wir können uns dem nicht mehr verschließen. Jetzt haben die Möglichkeit mitzugestalten. Irgendwann wird der Zug abgefahren sein und dann wird das jemand anderes machen.
Welche System-Partnerschaften sind Ihrer Meinung nach besonders wichtig, um die digitale Transformation voranzutreiben?
Ich denke ist es wichtig, mit den Kassen zu arbeiten, also die Partnerschaft zwischen der Industrie und den Kassen. Unter Industrie subsumiere ich auch Start-ups und wissenschaftliche Einrichtungen, die unter Gewinnerzielungsabsicht irgendwann mal ein Ding auf den Markt bringen. Also das ist wichtig, denn die Honorierung muss ja auch passen. Sie können ja einen Arzt nicht dazu verpflichten, dass er etwas einsetzt, was er eigentlich gar nicht honoriert bekommt. Das sehen wir ja zum Beispiel in Baden-Württemberg, wo das Fernbehandlungsverbot gelockert und der EBM nicht richtig angepasst wurde. Das heißt, dann gibt es keinen Anreiz. Es muss einen Anreiz geben. Der ist häufig finanziell. Und die einzigen, die finanzielle Anreize geben können, Ärzten gegenüber, die die Entscheidungsträger über das sind, was beim Patienten ankommt, können legalerweise die Kassen sein.
Wie sieht das Gesundheitswesen in zehn Jahren für Sie im Idealfall aus und wofür engagieren Sie sich in Ihrer täglichen Arbeit?
Wir engagieren uns für Patient Empowerment, also Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. Klar werden, dass das Gesundheitswesen nicht existiert, dass Ärzte beschäftigt sind oder dass es Verwaltungen gibt, sondern den Patienten in den Mittelpunkt stellen, dem Patienten zu vermitteln, welche Möglichkeiten er oder sie hat im Gesundheitswesen. Das hat auch den Aspekt, in Richtung Prävention zu gehen und Prävention bedeutet eben auch Verhinderung von Kosten, die irgendwann einmal entstehen.
Das Gesundheitswesen in zehn Jahren – das ist weit weg, das weiß keiner so genau zu sagen. Ich denke, die Patienten werden mehr Selbstverantwortung übernehmen müssen. Sie werden ihren Lebensstil schon vorher anpassen müssen zur Verhinderung von Erkrankungen, die irgendwann mal auftreten. Das wird klarer werden. Der demografische Wandel wird klarer werden. Beiträge werden möglicherweise steigen, möglicherweise wird es eine Basisleistung geben, möglicherweise werden private Krankenversicherer sich neue Geschäftsmodelle überlegen müssen. Und möglicherweise ist auch die gemeinsame Selbstverwaltung nicht mehr so, wie wir sie heute kennen, sondern in einer anderen Form.
Vielen Dank für das Gespräch.