Digitalisierung und Personalmangel in der Reha – im Gespräch mit Dr. Constanze Schaal

Gibt’s uns nicht oder nimmt man uns nicht wahr?sagt sie und vermisst die Reha im Pflegepersonalstärkungsgesetz.

Dr. Schaal begrüßt es, dass man mit dem Pflegestärkungsgesetz versucht, Verbesserungen in der Pflege herbeizuführen und dem Personalnotstand mit einer Gesetzesinitiative zu begegnen. Sie vermisst jedoch die Reha dort, die als gesamte Branche im Gesetz gar nicht eigens erwähnt wird, als gäbe es in der Rehabilitation keine Pflegekräfte.

Dem Pflegekräftepersonalmangel nur mit digitalen Technologien begegnen zu wollen, reiche nicht aus, meint sie. Der Fokus muss außerdem darauf liegen, das Fachkräfteangebot zu vergrößern und zugleich den Fachkräftebedarf zu reduzieren. Dazu müssen Berufsbilder attraktiver werden, es muss faire Löhne und Arbeitsbedingungen geben und auch eine Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland. Neue Vernetzung und Kooperation und Formen der Zusammenarbeit von Berufsgruppen werden dazu notwendig sein.

Digitale Technologien bieten jedoch Chancen und Möglichkeiten, Pflegekräfte, Ärzte und Therapeuten von Routinetätigkeiten wie Dokumentation, Verordnung und Planung zu entlasten, sodass diese wieder mehr Zeit für die Patienten und Beziehungsarbeit im Versorgungsalltag nutzen können.

Der Aufbau einer Digitalisierungsstrategie war für ihr Team zeitaufwändig und mit einer Definition von neuen Prozessen verbunden. Doch nun konstatiert Dr. Schaal: „Wir haben jetzt den ersten großen Schritt hinter uns und die Akzeptanz wächst, denn es ist spürbar. Das ist auch unsere Erfahrung: Erst, wenn der Nutzen spürbar im Alltag ist, nimmt die Akzeptanz bei den Mitarbeitern für diese neue Arbeitskultur wirklich auch zu.“

Dr. Schaal ist sich sicher, dass zukünftig nicht mehr Geld im System zur Verfügung sein wird. Und so wird es nur gelingen, durch eine Verstärkung des vernetzten Arbeitens im Versorgungsalltag und durch neue Versorgungs- und Kooperationsformen, das tradierte System zu durchbrechen. Denn durch das stärkere Wir in der vernetzten Zusammenarbeit im Gesundheitswesen profitiert vor allem der Patient.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Frau Dr. Schaal, Sie sind Vorstandsvorsitzende der DEGEMED und Geschäftsführerin der RehaZentren Baden-Württemberg. Was halten Sie vom Pflegepersonalstärkungsgesetz? Wird es Verbesserungen im Pflegewesen herbeiführen und hat es Auswirkungen auf die Pflegekräfte, die in Reha-Einrichtungen tätig sind?

Grundsätzlich ist es ja stark zu begrüßen, dass man versucht, dem Pflegenotstand geballt mit einer Gesetzesinitiative zu begegnen. Was wir als Verband von Anfang an vermissen, ist: die Reha gibt es in diesem Gesetz nicht. Als gäbe es in der Rehabilitation keine Pflegekräfte.

Und wir brauchen die, wir haben die. Wir haben dort auch mittlerweile zunehmend immer umfassendere Pflege am Patienten zu leisten. Und dann ein Gesetz zu erleben, in dem es diese Branche gar nicht gibt, das irritiert, das bringt einen auch zu der Frage: Gibt‘s uns nicht oder nimmt man uns nicht wahr?

Denken Sie denn angesichts des demografischen Wandels, dass es realistisch ist, dass es in Zukunft noch ausreichendes Pflegepersonal für die wachsende Anzahl an Pflegebedürftigen geben wird?

Wenn man jetzt mal die PwC-Studie aus dem Jahr 2010 nimmt, die prognostiziert für 2030 über eine Million fehlende Fachkräfte im Gesundheitswesen und natürlich sind die Pflegekräfte ein ganz wichtiger Teil davon. Wir spüren ja heute schon den Fachkräftemangel, er ist mitten im Alltag. Die Menge, die man meint zu brauchen – ich bin der Meinung, da bedarf es mehr, als nur dran zu glauben, dass es alleine die Digitalisierung bringt. Es ist aus meiner Sicht unabdingbar, dass viele Schrauben gedreht werden. Wir reden ja über zwei große Themenfelder. Wie kann ich das Fachkräfteangebot vergrößern und wie kann ich den Fachkräftebedarf reduzieren. Da müssen so viele Puzzlestücke ineinandergreifen, dass wir dann wirklich für den Bedarf, den wir prognostiziert haben, tatsächlich ausreichend qualifizierte Fachkräfte haben.

Wenn ich jetzt nochmal auf das große Thema gehe, das Fachkräfteangebot zu vergrößern, wir haben Themen wie, dass die Berufsbilder attraktiver werden müssen, faire Löhne, attraktive Arbeitsbedingungen, aber auch Zuwanderung von ausländischen Fachkräften. Es gibt laute Stimmen, die sagen: Ohne Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte wird nichts gehen.

Dann sind wir bei der Frage, die Sie stellen: Wird es die Anzahl überhaupt geben?

Genauso aber brauchen wir neue Berufsbilder, genauso brauchen wir Antworten auf: Wie kann man den Bedarf reduzieren mit Digitalisierung, mit neuen Vernetzungen und Kooperationsformen, von anderer Zusammenarbeit von Berufsgruppen. Ich bin eine, die sich wirklich stark dafür macht, sich jetzt nicht nur diese Digitalisierungsfrage anzutun, sondern es bedarf einer Vielzahl von Schritten, die miteinander verzahnt dann auch funktionieren. Dann haben wir vielleicht eine Chance, ansatzweise dem Fachkräftemangel, den man prognostiziert, zu begegnen.

Sie haben es auch gerade schon mal kurz angesprochen: Die Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen verbessert werden und es müssen neue Stellen geschaffen werden. Welche Maßnahmen können noch zu einer Verbesserung in der Pflege frühen, unter Aspekten wie der Prozessoptimierung, Aufgabenverteilung, des Dokumentationsaufwands und auch der Kommunikation?

Jetzt gehen wir mal auf den Punkt Digitalisierung: IT gibt uns die Chance, dass wir Pflegekräfte, Ärzte, auch Therapeuten entlasten von Routinetätigkeiten wie Dokumentation, wie Verordnung, wie Planung – da ist IT sinnhaft, wo man Routine entlasten kann, damit sowohl die Pflegkraft, der Arzt oder auch der Therapeut die eigentliche Zeit wieder mehr beim Patienten sein kann. Das muss das Ziel sein. Was man bei der Digitalisierung immer auch im Auge haben muss, ist ja der menschliche Faktor. Ich muss als Arbeitskraft damit auch umgehen können, umgehen wollen. Und eines dürfen wir uns auch nicht vormachen: Rehabilitationsmedizin ist Beziehungsarbeit im Versorgungsalltag und die Digitalisierung wird unseren Fachkräften die Kommunikation untereinander und zwischen den Patienten bitte nicht nehmen. Wir müssen wirklich fokussiert drauf schauen, welchen Einsatz von IT wollen wir, können wir finanzieren und wo ist er wirklich zielgerichtet gut eingesetzt.

Sie haben gerade schon angesprochen, dass mit der Digitalisierung immer auch viele Hoffnungen mitschwingen. Haben sie eventuell sogar konkrete Beispiele, wo Digitalisierung die Pflege entlasten konnte und erfolgreich implementiert wurde oder wo es vielleicht auch Hürden gab?

Wir selbst haben uns eine IT-Strategie in der Gruppe definiert, aber mit den Berufsgruppen zusammen, denn wir verstehen uns ja in der Rehabilitation als multiprofessionelles Team. Ich muss Sorge dafür tragen, dass IT das Team auch weiterhin unterstützt. Und man hat sich die Frage gestellt in der Pflege: Wie kann ich an welcher Stelle, in welchem Arbeitsschritt durch IT wirklich entlasten. Es ist die Dokumentation. Bitte keine Doppel- und dreifachen Strukturen von Papieren, dort aufgehoben, dort aufbewahrt, dann archiviert, dann abgelegt, dann vielleicht noch ein Beizettel – allein dieser Wahnsinn von Papier und Dokumentationsverpflichtungen, die wir in der Tat haben, bedarf wirklich einer Entschlackung und das mit IT.

Wir merken, am Anfang war es natürlich erstmal mehr, man muss ja erstmal neue Prozesse definieren, man muss auch erstmal viel mehr Arbeitszeit in diese Projekte investieren. Aber wir haben jetzt den ersten großen Schritt hinter uns und die Akzeptanz wächst, denn es ist spürbar. Das ist auch unsere Erfahrung: Erst, wenn der Nutzen spürbar im Alltag ist, nimmt die Akzeptanz auch bei den Mitarbeitern für diese neue Arbeitskultur wirklich auch zu. Voraussetzen dürfen wir sie nicht.

Als letzte Frage würden wir gerne noch von Ihnen wissen, was Sie sich für die Zukunft wünschen und wofür Sie sich besonders einsetzen wollen?

Wir müssen uns ja immer wieder vor Augen führen: es wird nicht mehr Geld im System sein. Ich bin überzeugt davon, dass durch eine Verstärkung des vernetzten Arbeitens,des Miteinanders, Klärens, was ist sinnvolle Arbeitsteilung im Versorgungsalltag, dieses tradierten Systems, das wir nun mal haben, aufzubrechen gelingt, durch neue Versorgungsformen und neue Kooperationsformen. Also durch Zusammenarbeit, durch Stärkung des eigentlichen “Wir” in der Versorgung, im Team. Davon bin ich überzeugt. Das bedarf aber auch ganz vieler einzelner kleiner Schritte. Das ist auch eine Haltungsfrage: Will ich mich mit dem Kollegen austauschen? Wann gebe ich meine Arbeit in die Hände des Kollegen, weil ich ihm vertraue, dass er meinen Patienten jetzt weiter gut begleitet. Ich glaube, wir müssen eine andere, vertrauensvollere, vernetztere Zusammenarbeit gestalten. Dafür würde ich mich gerne weiterhin einbringen. Meine Hoffnung liegt darin begründet: Durch das stärkere Wir in der vernetzten Zusammenarbeit im Gesundheitswesen profitiert vor allem der Patient.

Dann danke ich Ihnen für das Interview und wünsche Ihnen noch viel Spaß beim Europäischen Gesundheitskongress München.