Die Grundlagen eines digitalisierten Gesundheitswesens
Das Bundesministerium für Gesundheit hat unter dem Titel „Gemeinsam digital“ die Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen ausführlich beschrieben. Die Veröffentlichung fasst verschiedene Vorhaben zusammen, die gemeinsam diese Strategie ausmachen. So soll die Telemedizin ausgebaut und ein niederschwelliger Zugang zur Versorgung geschaffen werden. „Bis 2026 gibt es in mindestens 60 Prozent der hausärztlich unterversorgten Regionen eine Anlaufstelle für assistierte Telemedizin“, blickt der Bundesminister für Gesundheit, Dr. Karl Lauterbach, auf die kommenden Jahre. Angedacht sind Apotheken und Gesundheitskioske, in denen telemedizinische Leistungen durch Fachpersonal assistiert in Anspruch genommen werden können.
Daneben bleibt die Transformation von Versorgungsprozessen im Fokus – also die Etablierung digital unterstützter, integrierter Versorgungspfade. Etwa 80 Prozent aller Kommunikationsvorgänge sollen 2026 bereits papierlos erfolgen. Für die Verbesserung der Versorgung ist die Digitalisierung essenziell: Sie steht für zeitliche Flexibilität, geografische Unabhängigkeit, eine spürbare Entlastung des Personals in der täglichen Arbeit und damit für mehr Attraktivität der Gesundheitsberufe. Der Mensch rückt in den Mittelpunkt, Daten werden Grundlage einer passgenauen Leistungserbringung, bei der Patientinnen und Patienten selbstbestimmt informierte Entscheidungen treffen können. Das ist ein Beitrag zur Stärkung der Patientensouveränität.
„Unabhängig vom Alter können und wollen Patienten digital“, weiß Dr. Manuel Iserloh, Geschäftsführer POLAVIS. „Es besteht eine Erwartungshaltung hinsichtlich entsprechender Angebote. Was immer verfügbar ist, wird genutzt. Sind Aufbau und Ablauf gut gestaltet, sorgen positive Erlebnisse für Verstärkung. Die zunehmenden Forderungen lassen die Digitalisierung zur Grundlage einer besseren Gesundheitsversorgung werden, durch mehr Qualität und Effizienz.“
Technische Voraussetzungen einer digitalen Medizin
Die Verzahnung einzelner Leistungserbringer endet oftmals noch technisch bedingt an digitalen Bruchstellen. Es mangelt an Interoperabilität erhobener Daten: Die Formatierung der Information, einheitliche Terminologien und generell die Verwendung unstrukturierter Freitexte prägen die Informationsübermittlung – Briefversand und Faxübertragung geben kaum Anlass zum Umdenken und auch transportable Dokumentenformate (PDF) übernehmen die initialen Herausforderungen.
Die digitale Datenverarbeitung über Sektorengrenzen hinweg bedarf einheitlicher Standards und klarer Strukturen. Diese Interoperabilitätsherausforderungen betreffen den Versorger, müssen aber bereits in der Gesundheits-IT-Industrie mit ihrer sehr heterogenen Lösungslandschaft angenommen und gemeistert werden. Ein Meilenstein ist hierbei der Datenstandard „FHIR“ (Fast Healthcare Interoperability Resources).
„Für uns ist die Anbindung anderer Systeme an das Patientenportal essenzielles Thema“, gibt Dr. Iserloh Einblicke in Interoperabilitätserfolge. „Wir haben eine ausgeprägte Schnittstellenkompetenz aufgebaut und können eine Anpassbarkeit bieten, die sogar über Oberflächen administriert werden kann. Mit Integrationsherausforderungen kommen wir gut zurecht – auch ohne einheitliche Standards. Wir gehen weiterhin von einer Vielfalt an Schnittstellen aus, die bedient werden muss. Es braucht viel Zeit, die aufgrund der Abwesenheit einheitlicher Vorgaben unterschiedlich gewachsenen Lösungen einzelner Anbieter für einen gemeinsamen Standard auszulegen, beispielsweise hinsichtlich der Logik der Haltung und Verarbeitung von Daten.“
Neben der Darstellung der Inhalte ist auch die technische Abbildung der erforderlichen Vernetzung eine Herkulesaufgabe. Aus den ersten Schritten der Telematikinfrastruktur (TI) – zur Verbindung von Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten, Apotheken und Kostenträgern – ist die „Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH“ (gematik) hervorgegangen, die eine zentrale Rolle in den strategischen Überlegungen des Gesetzgebers spielt und durch den anstehenden Umbau zu einer digitalen Gesundheitsagentur mit ausgesprochener Nutzerorientierung weiter gestärkt wird. Die TI ermöglicht einen strukturierten Austausch von Daten jeweils im Kontext der unterschiedlichen Anwendungen (beispielsweise der elektronischen Patientenakte oder des E-Rezepts), die auch Patienten selbst als Akteure mit einbeziehen.
Notwendige Kompetenzen der Transformation
„Die Förderungen im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) haben den Marktzugang für neue Anbieter aus der technischen Expertise heraus attraktiv gemacht. Entsprechend halten technisches Denken und Technik anderer Industrie- und Wirtschaftsbereiche Einzug ins Krankenhaus“, blickt Dr. Iserloh auf die Gemengelage der Marktbegleiter. „Erprobte Standards der jeweiligen Branchen werden eingebracht – andererseits müssen Abläufe und Arbeitsweisen der Kliniken verstanden und technisch berücksichtigt werden. Fehlt das Verständnis für das Krankenhaus und seine Bedürfnisse, wird die Software dies so widerspiegeln.“
Versorger bauen in den letzten Jahren verstärkt eigene personelle Ressourcen in den Bereichen Digitalisierung, Unternehmensentwicklung und Prozessmanagement auf, um die Zusammenführung von technischer und inhaltlicher Sicht zu fördern. „Will man die Aufgaben klar verteilen, dann muss die Klinik die prozessuale Seite fest im Blick haben, der Dienstleister sollte jedoch für die optimale Übersetzung der Prozesse ins Digitale beide Seiten gut verstehen.“
Digitalisierungsprojekte haben immer auch den Charakter eines Change-Projekts: Prozesse ändern sich, neue Denkweisen werden benötigt. Die Herausforderung sind dabei weniger die Mitarbeitenden selbst – die Vorteile der Digitalisierung werden gesehen und neue Technik bringt immer weniger Anforderungen für Endanwender mit –, sondern das Abholen und Mitnehmen: Systemeinführungen waren oft Wasserfallprojekte: Konzipieren, umsetzen, bereitstellen, dann schulen und die eigentlichen Nutzer sehen viel zu spät, was auf sie zukommt. Dann ist die Veränderung unnötig groß und die Lust auf das nächste Projekt verschwindet. Wenn die Zielgruppe frühzeitig eingebunden ist und die Mehrwerte verständlich kommuniziert werden, ist der Veränderungsdruck gering.
Erfolgsfaktoren der Digitalisierung
„Auf Akzeptanz folgt Nutzung. Daher stellen wir immer die Frage: Verspricht ein neues Angebot eine Aufwandsreduktion? Ansonsten bestehen Akzeptanzhürden, beispielsweise wenn eine händische Unterschrift einfacher zu setzen ist als eine digitale Signatur. Dagegen wird gut angenommen, was als Erleichterung empfunden wird“, beschreibt der Transformationsexperte die Erfolgsgrundlagen. „Im Kontext des Patientenportals kann man sich folgendes Bild vorstellen: Alle Patienten kommen morgens in die Notaufnahme und vor Ort wird triagiert. Die Digitalisierung entzerrt diese angespannte Situation, verlagert zeitlich nach vorne und eröffnet die Möglichkeit, Voruntersuchungen anzusetzen, Leistungsbereiche auszusteuern und die Reihenfolge auf Prioritäten aufzubauen. Das Arbeiten ändert sich: Die asynchrone Kommunikation entbindet Ressourcen, Qualität und Grad der Vollständigkeit ausgetauschter Daten steigen, ebenso Planbarkeit und gefühlte Sinnhaftigkeit der Gesundheitsarbeit, die ihren Schwerpunkt wieder mehr am Patienten und weniger in der Bürokratie findet. Die spürbare Erleichterung sorgt entsprechend auf beiden Seiten für Akzeptanz.“
Erfahren Portale diese Akzeptanz, werden sie zum Selbstläufer und mit mehr Patientenportalen in der Fläche wird auch ihre Nutzung immer selbstverständlicher. „Die Grundsteine der erfolgreichen Digitalisierung des Gesundheitswesens sind gelegt. Standards werden sich etablieren und neue Anwendungsfälle werden sich durchsetzen, wenn der bisher beschrittene Weg motiviert und konsequent verfolgt wird.“